Ein von den Regierungen alles andere als unerwünschter Nebeneffekt der auch in den Verwaltungen zunehmenden „Digitalisierung“ ist die „Vereinheitlichung“ der Rechtsanwendung. Während meiner drei Jahre (bzw. 15 Monate) im Pirmasenser Finanzamt wurde mir bewusst, wie technische Strukturen (vor allem in Form softwaregestützter Datenverarbeitung) sogar die individuelle Ermessensausübung von Amtspersonen einschränken; einem Beamten also die Möglichkeit nehmen, Verwaltungsakte zu erlassen, in denen er ggf. auch eine individuelle, vom Vorgesetzten oder Dienstherren abweichende Rechtsinterpretation vertritt. Damals gab es mit der Streichung der Pendlerpauschale für die ersten 20 km Wegstrecke zum Arbeitsort hierfür sogar ein Paradebeispiel, anhand derer man die Problematik gut erläutern kann.
Bezeichnend für den auch unter den Dozenten stark vertretenen Konformitätsdruck an der Fachhochschule für Finanzen in Edenkoben war, dass unser Einkommensteuerdozent im Grundstudium I nur sehr verhaltene Kritik an der von Finanzminister Peer Steinbrück (Kabinett Merkel I) durchgeboxten Streichung der Pendlerpauschale für die ersten 20 km übte. Obwohl er selbst betroffen und es auch für einen „Anfänger“ wie mich klar war, dass diese Kürzung, die im Grunde nur fiskalisch „begründet“ wurde, verfassungswidrig ist; es war reine Willkür, die auch ganz klar gegen das auch aus der allgemeinen Werbungskosten-Regelung abgeleitete objektive und subjektive Nettoprinzip verstieß. So war es der Voßkuhle-Senat, der mit dem Urteil 2 BvL 1/07 vom 9. Dezember 2008 diese Regelung relativ zeitnah wieder einkassierte.
Als wir genau zu dieser Zeit nach der Zwischenprüfung zurück in die Ämter geschickt wurden, kritisierte insbesondere die DStG den durch diese klar verfassungswidrige, überflüssige Gesetzesänderung entstehenden organisatorischen und personellen Mehraufwand. Aufgrund der Unzahl von Einsprüchen gegen die Neuregelung und der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts letztlich auslösenden Richtervorlagen mehrerer Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs, erließ das Bundesfinanzministerium zwischenzeitlich auch eine Weisung, alle von der Änderung betroffenen Steuerbescheide nach § 165 (1) AO nur vorläufig festzusetzen. Andernfalls hätten, aufgrund der deutschen (un)rechtsstaatlichen Unsitte, die Bestandskraft von Verwaltungsakten in aller Regel höher zu gewichten, als eine spätere Erklärung der zugrundeliegenden Regelung als verfassungswidrig, all jene, die keinen Einspruch gegen ihren Steuerbescheid eingelegt hatten, in die Röhre geschaut.
Jedenfalls bedeutete das Urteil aus Karlsruhe, dass eine erhebliche Anzahl von Steuerbescheiden, eben aufgrund des Wegfalls des Grundes für die Vorläufigkeit, neu festgesetzt werden mussten. Dies wurde zwar überwiegend auf automatisiertem Wege, also softwaregestützt, bewerkstelligt; bedeutete aber dennoch, vor allem im Zusammenhang mit anderen Einsprüchen und Vorläufigkeitsregelungen, einen nicht unerheblichen zusätzlichen Zeit-, Personal- und Arbeitsaufwand.
Auch wenn man uns jungen Studenten damals etwas anderes eingebläut hatte: Eigentlich hätte in jeder einzelnen Klausur die Prüfung, ob ein von uns angewandt werdendes Gesetz überhaupt verfassungsgemäß ist, bepunktet werden müssen, denn Artikel 1 (3) GG wird da immer sehr gerne vergessen:
Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Stattdessen war selbst das Fach Staatsrecht, in dem das Thema Grundrechte auch nicht über Gebühr strapaziert wurde, am Ende nicht laufbahnprüfungsrelevant. Es gab da höchstens noch ein paar Fragen bei der mündlichen Prüfung.
Nun, wenn ich jetzt als voll ausgebildeter Finanzbeamter damals mit so einer ähnlichen Regelung konfrontiert worden und bei meiner ganz individuellen Prüfung zum Schluss gekommen wäre, dass es eben verfassungswidrig ist, die Werbungskosten für die ersten 20 km zur Arbeitsstätte zu streichen, dann hätte ich ein Problem gehabt. Denn die „automatisierte Datenverarbeitung“, die am Ende einen nicht einmal mehr unterschrieben, zentral bei der Oberfinanzdirektion ausgedruckt und in die Finanzämter geschickt werdenden Steuerbescheid ausspuckt, sah diese Möglichkeit überhaupt nicht vor.
Die Kürzung der Pendlerpauschale geschah automatisch, vom eigentlichen Amtsträger im Ergebnis nicht mehr beeinflussbar, durch die Eingabe (oder Übernahme) der entsprechenden Werte in der Eingabemaske in der finanzamtsinternen Software. Ich hätte also bei der OFD einbrechen und die Software hacken müssen, damit „meine“ Steuerpflichtigen nicht zu viel Steuern bezahlen müssen. Eventuell hätte ich die Technik noch in der Weise austricksen können, indem ich einfach die vom Steuerpflichtigen angegebenen Kilometer um 20 erhöht und dies dann im Erläuterungsteil des Bescheides angegeben hätte. So oder so wären von Seiten des Dienstherren über das Mittel der elektronischen Datenerhebung und -verarbeitung meiner individuellen Entscheidungsbefugnis Grenzen gesetzt worden; man hätte mich also genötigt, eine verfassungswidrige Regelung anzuwenden. Viele Steuerbescheide, vor allem von Arbeitnehmern, rauschen übrigens schon seit Jahren, unbesehen von einem Menschen aus Fleisch und Blut, durch einen die Plausibilität prüfenden und die Bescheide automatisiert erlassenden Computer (der damals „Blackbox“ genannt wurde).
Um noch auf die Anspielung im Titel zurückzukommen: Skynet steht in der Terminator-Reihe bekanntlich als Sinnbild für die Machtübernahme der Maschinen durch künstliche Intelligenz und die beginnende Unterdrückung der Menschen. Das fängt natürlich ganz unscheinbar an; indem mir der (natürlich noch von Menschen programmiert werdende) Computer vorschreibt, wie ich, Amtsträger, mein individuelles, pflichtgemäßes Ermessen auszuüben habe. Der Einsatz technischer Mittel dient also zu einem nicht unerheblichen Teil dazu, obrigkeitshörigen Konformismus zu fördern, das Verwaltungshandeln zu vereinheitlichen und abweichende und von der Mehrheitsmeinung ausscherende Interpretationen zu unterbinden.
Dass das in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat keine wirklich gute Idee ist, sehen wir derzeit überall: An Gerichten, in Ministerien, Staatskanzleien, Polizeibehörden und vor allem auch in Gesundheits- und Jugendämtern. Auch dort werden – vermute ich – durch den Einsatz von die Entscheidungen vereinheitlichenden Technologien (in einer Software zu erfassende „Vorgänge“ zwecks elektronischer, automatisierter Datenverarbeitung und Bescheiderstellung) „fehlerhafte“ Entwicklungen massiv verstärkt. Auch deshalb, weil zumindest die zweifelnden Amtsträger ihr Gewissen ja damit beruhigen können, dass die eigentliche Verantwortung bei dem liege, der die Software programmiert hat.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Der zunehmende, unkritische und übermäßige Einsatz von Technik in der Verwaltung kann meines Erachtens auf Dauer nur zu vollkommen dehumanisierten Zuständen führen. Ob nun irgendwann die KI komplett übernimmt oder Transhumanisten die Menschheit mittels Technik komplett versklaven wollen, wird im Ergebnis vermutlich keinen großen Unterschied machen.
Lieber Dennis,
ich registriere ähnliches in meinem Bereich – die EDV versklavt zunehmend den Anwender. Wie sich dies dann fortsetzt, zeigt der folgende Vorfall, der klar gegen die vom SF- Autor Isaac Asimov schon in den 50er Jahren formulierten Gesetze der Robotik verstößt, daß niemals einer Maschine die Entscheidung über Leben und Tod eines Menschen überlassen werden darf.
https://www.derstandard.de/story/2000127073438/drohne-soll-offenbar-selbststaendig-soldaten-angegriffen-haben
(A. Schwarzenegger gehört im wirklichen Leben leider nicht zu den Rebellen!)
Herzlich, Steffen Duck!
Dieses Problem existiert leider nicht nur in den Behörden, sondern begegnete mir als Verbraucher auch bei Firmen in der Privatwirtschaft, beispielsweise Stromanbieter, Telefonanbieter, Versandhäuser etc. Die Mitarbeitenden begründeten Ihre Ablehnung von mir geforderter Bearbeitungshinweise damit, dass der PC das nicht „könne“. Und es scheint bereits so weit in den Köpfen der Mitarbeitenden verankert zu sein, dass nur noch das, was der PC vorgibt, in Frage kommt. Man lässt sich also sein Handeln auf das beschränken, was ein PC vorgibt. Natürlich nimmt es auch vielen das Denken ab. Der PC ist ja der Grund. Der PC gibt „A“ oder „B“ vor, was anderes steht nur deshalb nicht mehr zur Auswahl.
Für Mitarbeitende, die mitdenken, erschwert diese Programmierung die Anwendung ihres Ermessens, welches aber aufgrund von Verwaltungsvorschriften vermutlich eh schon eingeschränkt ist. Wenn die Verwaltungsvorschrift lautet, dass die ersten x Kilometer zu streichen sind, ist der Beamte daran doch gebunden und kann sich höchstens durch Remonstration davon frei machen.
Eine Remonstration ist auch gegen widersinnige Anweisungen durch ein PC-Programm möglich.
In beiden Fällen steht das gleiche Ergebnis: Ein solcher Mitarbeiter wird in einer Behörde zu Grunde gehen, da sein Arbeitsstil nicht gewünscht er. Er wird auch in der freien Wirtschaft zu Grunde gehen, da die Aufgaben nicht mehr bewältigt werden können, wenn man mitdenkt (Zeitprobleme, Probleme der tatsächlichen Ausführung von Arbeiten).
Man sollte auf der anderen Seite aber auch bedenken, dass genau diese Punkte Schwachstellen sind, die das System hat. Wenn jährlich abertausende Steuerbescheid von einer KI geprüft werden und sich niemand mehr die Mühe macht, die Eingaben zu prüfen und ein Normalsterblicher bei den Finanzvorschriften unmöglich durchblicken kann, dann ‚verrechne‘ ich mich eben einfach mal beim Berechnen des Arbeitsweges oder den Arbeitstagen. Kann ja passieren, kein Mensch ist unfehlbar… Merken wird das von diesen Vollpfosten eh keiner. Man muss das System mit dessen eigenen Waffen zu schlagen wissen.
Dieser Blog diente „vor Corona“ hauptsächlich dazu, anhand vieler Beispiele zu belegen, dass Beamte sich in aller Regel einen feuchten Dreck um Gesetze, Verwaltungsvorschriften und Dienstanweisungen scheren, wenn es der persönlichen Meinung oder den „inoffiziellen“ politischen Vorgaben der vorgesetzten Behörden widersprach. Stichwort: „Falschparken„. Das liegt aber vermutlich auch daran, dass dieser Teil der Verwaltung (hpts. Straßen- und Straßenverkehrsrecht) eben (noch) nicht so stark durch den Einsatz von EDV „geknechtet“ wird, wie es Finanzbeamte bereits werden. Was natürlich nicht nur Nachteile hat.
Man könnte vielleicht noch einwenden, dass natürlich auch vor der EDV die Bürokratie ihre Mittel und Wege hatte, individuelle Interpretationsspielräume zu minimieren; vor allem durch Formulare und Vordrucke. Der Passierschein A 38 grüßt da auch recht herzlich.