Coronoia: Subsumtionsautomaten

Es ist schon eine Weile her, da hatte Richter Thorsten Schleif im Corona-Ausschuss auf die solche Entwicklungen, wie wir sie derzeit vor allem in den Bereichen der Rechtsprechung und Verwaltung erleben müssen, begünstigende Strukturen in der Ausbildung von Juristen hingewiesen. Ich selbst wurde in der fast ausschließlich nach den Prinzipien der Juristerei funktionierenden Ausbildung der Beamten des gehobenen Dienstes in der Finanzverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz förmlich zerrieben. Auch wenn ich am Ende als Wrack und ohne Abschluss dastand, habe ich daraus so ziemlich genau das gelernt, was die Professorin und Rechtsphilosophin Prof. Dr. Katrin Gierhake in ihrem Gespräch mit Gunnar Kaiser beschreibt.

Einer meiner frühen Coronoia-Beiträge, der Bezug auf meine Zeit an der Fachhochschule für Finanzen in Edenkoben (bzw. ersatzweise Neustadt) nimmt, ist jener über die bequeme Unmündigkeit. Später empörte ich mich darüber, dass zu viele Verbeamtete die Sache mit ihrem Diensteid nicht allzu genau nähmen. Ebenfalls monierte ich auch die formal-juristische „Schludrigkeit“, bei der Anwendung von Rechtsnormen nicht nur an der FH, sondern auch im alltäglichen Amtsbetrieb den Artikel 1 (3) GG zu ignorieren; wie es einem (auch durch technokratische Strukturen) zunehmend erschwert wird, noch eine individuelle Rechtsauffassung im Sinne des Bürgers zu vertreten.

Mein Scheitern basierte letzten Endes auch auf der völlig falschen und naiven Grundannahme, in diesem „Studiengang“ eine wirklich alle Belange des „Rechts“, als auch der Staatstheorie umfassende Ausbildung zu erhalten. Doch die gab es gerade eben nicht! Es war ein Paragraphen-Bootcamp. Wir wurden über drei Jahre lang zu stupiden „Subsumtionsautomaten“, zu Fachidioten gedrillt. Die sich ohne jeden Zusammenhang Unmengen an Stoff in die Rübe knallten, denen aber nie beigebracht wurde, sich den gesamten juristischen Apparat bzw. die Grundlagen der Rechtswissenschaften an sich (also vor allem aus einer soziologischen oder philosophischen Perspektive) auch mal von „außen“ bzw. „oben“ zu betrachten. Woher kommt das „Recht“ überhaupt? Wer profitiert davon? Wer übt einen Einfluss darauf aus, was am Ende zu „Recht“ wird? Reflexion fand jedoch überhaupt keine statt, weder von „außen“, noch von „innen“ (in Form der individuellen Interpretation der Grund- und Menschenrechte).

Deshalb hatten auch die allermeisten meiner Mitstudierenden keine Probleme damit, zu „mechanisch“, „binär“ funktionierenden Robotern ausgebildet zu werden, die am Ende völlig unkritisch das gegen den Bürger durchsetzen, was eine Regierung (vor allem mittels Weisungen, Richtlinien und Erlassen) als „Recht“ interpretiert. Auch wenn es für jeden mit einem Rest an eigenem Verstand offenkundiges, ja förmlich schreiendes Unrecht ist.

Ich kann mich auch noch gut an die Nachbesprechung zu unserem Besuch beim Neustädter Finanzgericht erinnern. Als der Dozent (ein Jurist) meinte, „wir“ hätten an diesem Tag drei der fünf Fälle gewonnen. Entschuldigung, aber wer ist hier bitteschön „wir“? Als Finanzbeamter unterliege ich ebenfalls sämtlichen steuerrechtlichen Vorschriften; wie eben damals auch bei der Streichung der „Pendlerpauschale“ für die ersten 20 km. Inwiefern ist es also eine „Niederlage“, wenn ein (teils auch völlig abstrus argumentierendes) Finanzamt vom Gericht mal eins auf den Deckel bekommt? Allein dieses Wörtchen „wir“ war symptomatisch für die Schizophrenie, die gerade viele Beamte gegenüber dem – sie ja in allen anderen Rechtsbereichen ebenfalls einschränkenden – Staat entwickeln.

Gierhake antwortet auf Kaisers Frage, woran es liegt, dass sich vor allem die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte seit nun fast zwei Jahren einfach wegducken? Ob es ein persönlicher, zufälliger, charakterlicher Fehler der handelnden Personen sei? Oder die Art und Weise, wie diese Stellen besetzt werden? Ob das Grundgesetz nicht deutlich genug formuliert sei?

Wahrscheinlich von allem etwas. Also ein Thema, was mich ja auch vor Corona sehr beschäftigt hat, ist die Juristenausbildung. Und ich glaube, dass auch da ein Bezug zu der Frage besteht.

Wenn wir – und das gilt nicht nur für Juristen, aber da besonders – die Leute nicht mehr zum kritischen Denken erziehen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie anschließend in einer Position des Richters oder der Richterin auch nicht mehr dazu in der Lage sind.

Wenn wir sie zu Subsumtionsautomaten machen – und die das mit sich machen lassen, vor allem. Weil Bildung ist ja eigentlich etwas, was man sich selber gibt und nicht, was man ihnen eintrichtern kann, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Leute stromlinienförmig machen, was von ihnen verlangt wird. Das war schon immer so, könnte man sagen. Es ist keine beruhigende Aussage. (…)

Aber dagegen anzugehen, kostet ganz schön Kraft. Und es gibt aber eben auch immer wieder tolle Leute, die das dann auch machen. In eigener Sache auch mehr wissen wollen, als nur das Repetitorenwissen. Aber ob die dann in den höchsten Gerichten landen? Weiß ich nicht?

Kaiser fragt, ob der Jurist zu viel auswendig lernen muss?

Die gängige Vorstellung davon, dass wir Juristen immer Paragraphen auswendig lernen, stimmt nicht. Nein, das ist wirklich eine Fehlvorstellung. Aber dass wir dazu ausbilden, dass blind bestimmte Sachen einfach wiedererzählt werden, das stimmt leider schon. Auch, weil die Fülle und die Masse des Stoffs, gerade in den Examina, ein Maß angenommen hat, was kein normaler Mensch mehr durchdenken und verstehen kann. Und deswegen gehts gar nicht, es ist eine Notwehr eigentlich, das alles nur noch rauszuplappern, weil es halt gefordert ist.

Das stimmt. Wir lernten an sich zwar keine Paragraphen auswendig (das war eher ein Nebenprodukt), aber wir waren gezwungen, unzählige „Sachverhalte“ auf eben diese unzähligen Paragraphen zu „subsumieren“. Und wenn der Paragraph keine eindeutige Subsumtion zuließ, nicht etwa selber zu denken, sondern die unzähligen Richtlinien und Erlasse heranzuziehen. Es war die schiere Masse an Stoff, die einem keinerlei „Freiraum“ ließ, die es einem strukturell, auch zeitlich verunmöglichte, irgendetwas zu hinterfragen, zu diskutieren, abzuwägen. Und genau dieser Struktur verweigerte ich mich; ich sah es nicht ein, mich vollkommen sinnbefreit „mästen“ zu lassen. Das System sortierte mich aus.

Wir sehen und erleben derzeit vor allem im Bereich der Rechtsprechung also im Grunde nur die Symptome vollkommen kranker Strukturen. Es war schon immer diese Meta-Ebene, die mich an der Art und Weise, wie unsere Gesellschaft funktioniert, am ehesten interessierte. Wenn man, wie ich, am eigenen Leib erfahren hat, wie um einen herum junge Menschen zu willfährigen Exekutoren auslegbarer Schriften (und Rechtsnormen sowie verwaltungsinterne Richtlinien und Erlasse sind ja nichts anderes) werden, dann wundert man sich im Endeffekt auch nicht darüber, warum die überwiegende Zahl der Beamten und Richter in diesem Land auch das Corona-Unrecht völlig frei jeglichen Gewissens exekutiert bzw. es (durch mutige Rechtsprechung oder Remonstration) nicht verhindert.


Ach ja: Schöne Feiertage! 😉 Und insbesondere ein Dankeschön an all diejenigen, die mich in den vergangenen Wochen und Monaten in vielerlei Hinsicht über Wasser gehalten haben! Ansonsten wäre nicht nur hier im Blog schon lange das Licht aus.

4 Gedanken zu „Coronoia: Subsumtionsautomaten“

  1. „Wenn wir – und das gilt nicht nur für Juristen, aber da besonders – die Leute nicht mehr zum kritischen Denken erziehen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie anschließend in einer Position des Richters oder der Richterin auch nicht mehr dazu in der Lage sind.“
    Vielleicht können wir uns bald etwas Geld als Nachhilfelehrer für Querdenken dazu verdienen, wenn immer mehr Eltern begreifen, dass es regelmäßig sinnvoll ist, der Herde den Rücken zu kehren; Es einem aber in Schule und Quallidädsmedien abtrainiert wird.

    „In den USA ziehen massenhaft Menschen aus den Lockdown Staaten New York & Kalifornien um in freie Staaten wie Florida & Texas“
    Gerade in New York ist das von manchen Bonzen vielleicht gar nicht mal unerwünscht, obwohl es sicher keiner offen zugeben würde. Make Room! Make Room!, aka Soylent Green, lief übrigens auch unter dem Titel New York 1999.

    „17 Covid-Skeptic Memes to Get You Through CHRISTMAS 2021“
    Diese Ausgabe fand ich nicht so prickelnd, aber bei den vorherigen Zusammenstellungen gab es richtige Volltreffer.

    „vom Gesindebuch bis zum Impfpass (RT)“
    „Denunziation als Bürgertugend“ nimmt einen Artikel der Zeit auseinander, den ich im Original wahrscheinlich nicht lesen könnte, auch nicht für viel Geld oder einen ‚Echt Falschen ImpfPass‘, also einen, der von einer Behörde wissentlich falsch ausgestellt wurde; So etwas gibt es (halb-)offiziell für Spione oder Zeugenschutzprogramme, aber in Wahrheit natürlich auch aus weniger edlen Gründen.
    „Gesindebuch“ sollte man im Auge behalten, da könnten noch mehr Parallelen offensichtlich werden.

    1. Zur „Nachhilfe“: Die Menschen dumm zu halten ist und war allerdings schon immer deren größter Machtfaktor. Wir wären dann quasi sowas wie Bildungsterroristen. Schulpflicht abschaffen wär schon mal ein Anfang. Und ich bin alles andere als ein Freund des „freien Marktes“.

      Zur Umzugswelle in den USA: Gentrifizierung mal anders?

  2. Der Staat hat ein Interesse daran, Befehlsempfänger zu rekrutieren, die möglichst nicht hinterfragen. Es werden ausführende Organe gesucht, je mehr man spurt, je mehr man die eigene Meinung bzw das eigene Denken einstellt, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Beförderung.
    Schaut euch die Lehrer an, wie viele auch da zerrieben werden oder im BurnOut enden, weil sie anfangs dachten, ihr Beruf würde darin bestehen, Kindern gute Bildung nahe zubringen. Bis sie merkten, dass sie nur ausführende Organe sein sollen, die den Kindern das ins Hirn prügeln, damit sie später für die gewünschten Zwecke funktionieren.

    Diese Ent-täuschung kann brutal hart sein. Viele zerbrechen daran. Für viele ist es aber genau der richtige Beruf, weil sie nicht fähig sind, selbst zu denken und lieber ausführen, egal wie hoch die Verluste sind.

    Man sollte sich frei machen von der Vorstellung, dass der Staat das Beste für seine Bürger oder das Beste für seine Mitarbeiter wolle. Im Staatsdienst werden natürlich Konformisten und Menschen ohne Rückgrat bevorzugt. Das führt dazu, dass von Gerichten nicht viel kommt. Das ist ein Fehler im System, aber von oben natürlich so gewollt, um die Macht nicht zu verlieren.

    Wenn wir Glück haben, befinden sich in den Reihen trotzdem einige wenige, die aufrichtig und der Menschenwürde verpflichtet sind und nicht der Herde oder ihrer nächsten Beförderung. Wir dürfen aber keinesfalls auf die Gerichte zählen oder die Vernunft der Verantwortlichen.

    Meiner Meinung nach kommen wir aus der Nummer nur wieder raus, wenn die Stimmung kippt und die Mehrheit gegen die Maßnahmen ist (egal aus welchen Gründen). Die Energie muss weiter anwachsen, bis das kaputte System sich von selbst auflöst.

    1. Und die, die ihre Arbeit erledigen, erhalten (von korrupten Gutachern) dann die Diagnose „paranoid-querulatorisch„. Oder werden, wie Stephan Kohn aus dem BMI oder die Polizisten Fritsch, Bayerlein, Schlöffel und Claudius et cetera, aus dem Dienst entfernt. Und Gesundheitsamtsleiter, wie Pürner, versetzt.

      Dieser Staat ist nur noch ein einziges mafiös-korporatistisches Konstrukt. Und das ist auch einer der wesentlichen Gründe, warum ich hier nur noch weg will. Ich sehe hier keinerlei Aussicht auf eine Zukunft. Gerade weil die große Masse damit keine Probleme hat.

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