Coronoia: Orwell’sche Russophobie

Im Spätsommer las ich noch einmal „Farm der Tiere“ von George Orwell. Seitdem wollte ich eigentlich immer wieder mal einen Beitrag zu seinem mit „Die Pressefreiheit“ übertitelten Nachwort verfassen, aus welchem ich mir im Rahmen eines kurzen Zitat-Beitrages bereits ein paar Zeilen entlieh. George Orwell hätte die gegenwärtige, an die Zeiten des Kalten Krieges erinnernde Hetze gegen Russland sicherlich gefeiert; hatte er doch seine auf die Sowjetunion gemünzte Fabel in einer Zeit geschrieben, in welcher „der Russe“ ein Verbündeter von Großbritannien war. Medien und Gesellschaft stützten diese politisch vorgegebene Linie. Orwell, dem man ohne Weiteres eine Russophobie unterstellen kann, hatte große Probleme, sein Werk „Farm der Tiere“ damals irgendwo zu veröffentlichen.

Es brachte ihn schier zur Verzweiflung, dass sich Politik, die britische Bevölkerung und die Massenmedien mit Kritik (ob nun berechtigt oder nicht) an den politischen Zuständen im Osten zurückhielten. Er kritisierte die mehr oder weniger unverhohlene Zensur. Offene Kritik war quasi „verboten“. Selbst jene Kritik in einer Parabel wie „Farm der Tiere“ zu verstecken, galt bereits als zu subversiv; als grundsätzlich geeignet, die Beziehungen zu Russland einzutrüben.

Die derzeit herrschende Orthodoxie verlangt die unkritische Bewunderung Sowjet-Rußlands. Jeder weiß das, fast jeder handelt danach. Jede ernsthafte Kritik am Sowjet-Regime, jede Enthüllung von Tatsachen, die die Sowjet-Regierung lieber weiterhin verborgen sähe, ist nahezu undruckbar.

Im Grunde erleben wir hier im Westen dasselbe seit Jahrzehnten, bzgl. verbotener oder weitestgehend ignorierter Kritik an der imperialistischen Geopolitik der USA bzw. der NATO. Schon 1973 hatte niemand wirklich Anstoß daran genommen, dass in Chile eine demokratisch gewählte Regierung von einem von den USA gestützten Diktator weggeputscht wurde. Und auch die zahlreichen, im 21. Jahrhundert destabilisierten und bzw. oder von den USA, als auch Deutschland angegriffenen Staaten wie Jugoslawien (Schröder und Fischer sitzen immer noch nicht wegen Durchführung eines Angriffskriegs lebenslang im Gefängnis), Jemen, Lybien, Syrien, Irak, Afghanistan et cetera haben hier diejenigen, die nun gegen den vermeintlich wahnsinnig gewordenen Russen auf die Straße gehen, nie sonderlich interessiert. Schließlich hatte man ja schon im Irak akzeptiert, dass der Ami „die Demokratie®™“ halt hin und wieder auch mal mittels Bomben und Raketen anliefern – oder die Bundeswehr Deutschland am Hindukusch „verteidigen“ müsse.

Die Schilderungen Orwells belegen jedoch ganz allgemein, wie offenkundig willkürlich die Regierungen von Staaten (und mit ihnen ganze Gesellschaften) von Heute auf Morgen politische Wertzuschreibungen übernehmen bzw. ändern. Um andere Staaten (als auch deren Bürger) in „gut“ und „böse“ zu unterteilen, genügt offensichtlich das einfache Umlegen eines (mentalen) Schalters. Die Russen bzw. Sowjets waren damals (Orwell schrieb sein Buch Ende 1943) eben Verbündete im Kampf gegen Nazi-Deutschland. Orwell konnte zu dieser Zeit seine Russophobie nicht mehr offen ausleben. Sie entsprach nicht dem aktuellen Zeitgeist, war nicht opportun; weswegen er sich auch genötigt sah, ein Nachwort über die Pressefreiheit zu verfassen. Und ja, Orwell hatte mit seiner Kritik grundsätzlich recht; seine (abweichende) Meinung hätte, unabhängig von ihrem nun berechtigten oder unberechtigten Inhalt, Teil des Diskurses sein müssen. War sie aber nicht. Wobei man, wenn man seine Zeilen liest, immer noch sagen muss, dass die Medien selbst damals, gegen Ende des zweiten Weltkrieges, nicht in einer derart totalitären Weise gleichgeschaltet waren, wie das heute der Fall ist.

Die Beliebigkeit, mit der die Regierungen von Staaten und mit ihnen der überwältigende Teil der Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit ihre „Einstellung“ („Freund“ oder „Feind“) zu anderen Staaten wechseln, ist m. E. auch ursächlich für eines der tragenden Elemente in „1984“; wonach Ozeanien schon immer im Krieg mit Eurasien gewesen sei. Momentan steuern wir wieder schnurstracks in diese Richtung. Die schon seit fast zwei Jahrzehnten permanent intensiviert werdende, sich vor allem an Putin abarbeitende Hetze gegen ein seine Interessen fast durchweg defensiv oder passiv vertretendes Russland, dessen Machtbereich sich im Gegensatz zu dem der USA und der (von ihr dominierten) NATO nicht ausgeweitet hat, kulminiert derzeit in einer absolut besorgniserregenden Weise. Der Westen wirft Russland einmal mehr in einer wahrlich orwell’schen Weise das vor, was er seit Jahrzehnten selber tut: völkerrechtswidrige Angriffskriege führen.

Nachdem man durch den totalitären Corona-Wahn innerhalb der Massen jegliches Gefühl für Moral und Anstand vollständig pervertiert oder abgetötet hat; die „Baselines“ derart weit ins Totalitäre verschoben wurden, kann ich mir nur unschwer vorstellen, wie nicht nur Deutschland jemals wieder eine vernünftige Beziehung zu Russland haben soll? Mir scheint, als habe die tumbe Masse innerhalb der letzten beiden Jahre wirklich jeglichen Rest von Empathie und Menschlichkeit verloren.

Das absolute Missverständnis liegt meiner Meinung nach darin, zu glauben, man sei ein umso besserer Mensch, je mehr man andere (als „böse“ abgestempelte) Menschen hasst? Der Genuss dieser Droge vernebelt einem den Blick, macht einen sprichwörtlich besoffen. Und Betrunkene werden in der Regel aggressiv.

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