Einer umfangreichen Buchspende zu Beginn diesen Jahres ist es zu verdanken, dass ich mir in diesem Sommer am See auch ein paar „Klassiker“ zu Gemüte führen kann. Die Werke von Erich Fromm stehen auch schon ewig auf meiner Liste; von dem ich bislang nur einzelne Video-Auszüge aus Interviews und den ein oder anderen (auch hier aufgegriffenen) Aufsatz gesehen und gelesen habe. Schon vom Titel her passt das Buch „Die Pathologie der Normalität“ in diese vollkommen kranke „Neue Normalität“, wie die Filtertüte auf das Gesicht eines seine Geisteskrankheit für den Inbegriff von (Volks-)Gesundheit haltenden Coronoikers.
Das im Ullstein-Verlag erschienene Buch enthält ein Vorwort von Rainer Funk und ist in der vorliegenden Form eine Zusammenstellung von vier (transkribierten) Vorlesungen, die der Philosoph und Psychoanalytiker Erich Fromm im Jahr 1953 über „die Pathologie der Normalität des heutigen Menschen“ hielt. Des weiteren enthält es eine Vorlesung aus dem Jahre 1962 über das „Verständnis von seelischer Gesundheit“. Den dritten Teil bildet ein Aufsatz über die „Humanistische Wissenschaft vom Menschen“ aus dem Jahre 1957. Abschließend befasst sich Fromm mit der Frage, ob der Mensch von Natur aus faul sei. Das Buch enthält ein Literaturverzeichnis als auch ein Personen- und Sachregister.
Die Kranken, das sind die Gesunden. Und die Gesunden, das sind in Wirklichkeit die Kranken.
So lautet die zentrale, auf der Rückseite des Buches zitierte These Fromms. Nun muss man sich vergegenwärtigen, dass Fromm sich im Wesentlichen auf die Zeit um die 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und damit die Phase der weiteren Intensivierung der kapitalistischen Produktionsweise bezieht. So etwas wie die „Neue Normalität“ hätte er sich wohl in seinen finstersten Alpträumen nicht vorstellen können.
Ich persönlich vertrete die Ansicht, dass das, was in den letzten Jahren geschehen ist, mit einer kognitiv und emotional; also psychisch „gesunden“ Bevölkerung niemals möglich gewesen wäre. Ähnlich äußert sich auch regelmäßig der Psychoneuroimmunologe Prof. Dr. Dr. Christian Schubert, welcher die diffusen Ängste nach mehreren Jahrzehnten neoliberaler Umerziehung der Menschen zu jederzeit wegrationalisierbaren „Kostenfaktoren“ als wesentlichen Grund dafür ausmacht, warum die überwiegende Masse die „Neue Normalität“ ohne jeden Widerstand, wenn nicht gar regelrecht dankbar angenommen hat.
Wie gesagt; die Entwicklungen der vergangenen 2,5 Jahre haben meiner Meinung nach eine stabile Basis, von welcher Erich Fromm in seinem Buch wesentliche Teile ausführlichst beschreibt. Schon lange vor 2020 war unsere (spätpandemisch-dekadente) „Gesellschaft“ im Wesentlichen vollständig atomisiert. Den Menschen fehlte ein tieferer Sinn im Leben, der über das Lohnarbeiten, Produzieren und Konsumieren hinausging. Viele rotierten bis zur (immer späteren) Rente in ihren Hamsterrädern; wenn sie der Stress und die Monotonie ihrer aufgehübschten Sklavenarbeit nicht schon vorher in die Kiste brachte.
Fromm geht detailliert auf die Entfremdung des Menschen von sich selbst ein; und damit auch der Entfremdung in der Sprache, Politik, Wissenschaft als auch der Liebe. Er beschreibt, wie (leere, künstliche) Sentimentalität das Bedürfnis nach echten Gefühlen kompensiert. Wie sich eine lähmende Langeweile breitmacht, die vorwiegend mit Konsum betäubt wird (Seite 51).
Wir sind zu Konsumenten von allem geworden. Wir konsumieren Wissenschaft, Kunst, Vorträge, Liebe. Die Haltung hierbei ist immer die gleiche: Ich zahle und ich bekomme etwas dafür, (…).
Natürlich kann man sich so eine „Langeweile“ auch mit einer gigantischen Schock-Strategie wie z. B. einer „Pandemie“ zunutze machen; indem man den Menschen einen (unsichtbaren) Feind gibt. Sie zu Helden stilisiert, wenn sie zu Hause auf dem Bett Chicken Wings fressen und Playstation spielen. Man kann den Menschen so (zumindest für eine Weile) wieder einen „Sinn“, einen „Inhalt“ im Leben geben; insbesondere unter Zuhilfenahme eines (pervertierten) Surrogats von „Solidarität“.
Fromm fragt, was unter welchen Umständen in der Gesellschaft als „Gesundheit“ (oder eben „Krankheit“) gilt und was nicht. Narzissmus, Entfremdung und Nekrophilie (er meint damit in erster Linie ungerechtfertigte Feindseligkeit) seien seiner Meinung auf dem Weg zu einer neuen Wissenschaft über den Menschen zu überwinden. Heute kämen wohl noch die Mysophobie, welche ein perfektes Beispiel für eine Umkehrung einer einstmaligen psychischen Erkrankung in völlig „normales Verhalten“ darstellt, als auch die Verobjektivierung des Menschen zu einer todbringenden Virenschleuder (also eines Gefährders) hinzu.
Apropos. Über „die Wissenschaft“, welche in diesen Zeiten zunehmend zur szientistischen Religion mutiert, äußert sich Fromm in seiner vierten Vorlesung im Jahre 1953 folgendermaßen (Seite 85):
Der Durchschnittsmensch von heute ist zu einem Konsumenten von Wissenschaft geworden. Er erwartet, dass die Wissenschaft alles weiß, so daß die Lektüre der Zeitung für ihn die gleiche Funktion hat wie früher der Gang zur Kirche. (…) Man glaubt, die Wissenschaftler seien die Hohepriester der Wissenschaft, die eine totale Gewißheit über die Welt haben.
Wenn man sich das weiterhin vollkommen irrationale Verhalten vieler Zeugen Coronas und ihrer nicht minder gestörten Hohepriester, die uns bereits in der gewohnt infantilen Weise für „O bis O“ das Aufziehen von „Winterreifen und Schneeketten“ angekündigt haben, vergegenwärtigt, muss man die zentrale These Fromms leider vollständig bestätigen. Die „Neue Normalität“ ist pathologisch.
Eine vollkommen den Verstand verloren habende, schlicht hochgradig geistesgestörte „Gesellschaft“ erkennt selbst nicht, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes krank ist. Die Verrückten bestärken sich darin, nicht verrückt, sondern normal zu sein. Sie leiden nicht unter Realitätsverlust – sie genießen ihn. Was wiederum die wenigen, welche nicht Opfer dieses Mentizids wurden, förmlich „verrückt“ werden lässt.
Ullstein Taschenbuch | 224 Seiten.
Wo ist denn dein letzter Artikel zur Misanthropie geblieben? Ich wollte darauf und auf Kommentare antworten und tat es nur deshalb noch nicht, weil ich die Zeit dafür noch nicht hatte und auch erst meine Gedanken sortieren musste.
Was hat dich denn dazu veranlasst, diesen Beitrag, dem ich – leider – weitgehend zustimmen konnte, zu entfernen? Oder wurde er gelöscht? Ich kann diesen Kommentar nicht absenden.
Missverständnis: Ich pinne gelegentlich ältere Beiträge oben an. Hier isser, in alter Frische. 😉
Der hätte auch von jetzt sein können! Da warst du mit deiner Misanthropie früh dran. 😉
Misanthrop kann man (auf diesem Planeten) gar nicht früh genug werden! 😉