Heute flatterte eine förmliche Zustellung in meinen Briefkasten. Schneller als erwartet hat die Stadtverwaltung mir den Widerspruchsbescheid zu meinem am letzten Dienstag im Stadtrechtsausschuss zurückgewiesenen Antrag, die Schillerstraße in Pirmasens für den Radverkehr zu öffnen, zugestellt. Wie zu erwarten war, ist die rechtliche „Begründung“ so erbärmlich, wie es der Verlauf der Sitzung bereits erwarten ließ; man meint allen Ernstes, eine Einbahnstraßenregelung sei kein Verbot des fließenden Verkehrs, weswegen § 45 (9) S. 3 StVO nicht anwendbar sei. Für gerade mal 2 DIN-A4-Seiten hat es gelangt.
Ein Urteil, welches die Behauptung, Satz 3 sei nicht einschlägig stützen soll, habe das Verwaltungsgericht Köln mit Urteil vom 29.03.2021, 18 K 2675/18 gesprochen, als ebenfalls ein Radfahrer die (erneute) Öffnung einer Einbahnstraße (in Wermelskirchen) beantragt hatte und dessen Klage abgewiesen wurde. Hierbei überraschten die Kölner Verwaltungsrichter beide Seiten, indem jene in Randnummer 71 Folgendes ausformulierten:
b) Es kann dahinstehen, ob – wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen – die Entscheidung der Beklagten an den erhöhten Anforderungen des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO, wonach Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden dürfen, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt, zu messen ist. Denn bei gebotener Betrachtung des Antrags sind Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nicht streitgegenständlich. Da somit keine Beschränkung bzw. kein Verbot der Benutzung einer Straße aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs im Raum steht, sondern einzig die ablehnende Entscheidung über die Freigabe einer gegenüber dem Kläger bereits bestandskräftig gewordenen Beschränkung, unterfällt die Entscheidung entgegen der Auffassung der Beteiligten nicht § 45 Abs. 9 Satz 3, Abs. 1 Satz 1 StVO.
Nun habe ich nach dem Lesen des Urteils und dem Verlauf des Rechtsstreits allerdings auch den Eindruck, dass der Antragsteller sich in Gestalt seiner Anträge wohl selbst ein Bein gestellt haben könnte. Das VG Köln ist jedenfalls offenkundig besonders „kreativ“ darin, einen Antrag eines Klägers, ein (durch Verkehrszeichen manifestiertes) Verkehrsverbot aufzuheben von jenem Antrag zugrunde liegenden Verkehrsverbot zu trennen? Wenn also eine Behörde einen solchen Antrag ablehne, läge jedoch gar kein (angreifbares) Verkehrsverbot vor?
Diese (unprovozierte) Anmerkung hält das VG in den weiteren Ausführungen allerdings auch nicht davon ab, sich (um den Radverkehr verboten zu lassen) auf den Satz 3 und eine solche „Gefahrenlage“ zu berufen. Dass man mit so einer „Argumentation“ im Hinblick auf die Anfechtbarkeit von Verkehrszeichen gerade das (schon verhältnismäßig schwache) Instrument der Verpflichtungsklage völlig entwerten und die von Verboten betroffenen Verkehrsteilnehmer de facto rechtsschutzlos stellen würde, hätte den Richtern des VG dann doch irgendwie auffallen müssen? Diese Rechtsauffassung widerspricht auch völlig anderen Urteilen wie z. B. jenem des VG Aachen zu einer Sperrung einer Landstraße mittels .
Da jedoch Kläger als auch Beklagte von dieser (allerdings auch „dahinstehen könnenden“) Sichtweise des Gerichts beiderseits überrascht wurden, konnte natürlich auch nicht mehr in einer angemessenen Weise das von mir auch vor dem Rechtsausschuss angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Anordnung von Radwegbenutzungspflichten Gehör finden. Grundlage jenes Verfahrens war einstmals jedoch keine Verpflichtungs-, sondern eine Anfechtungsklage eines Bürgers, der sich zeitnah gegen die Aufstellung neuer Radwegschilder wehren konnte.
Als die Stadt Pirmasens in der Schillerstraße eine Einbahnstraße eingerichtet hat, war ich jedoch (vermutlich) noch nicht einmal geboren. Und deshalb stehe es mir laut Ansicht der Stadt Pirmasens heute nicht zu, dass die Behörde erneut und fehlerfrei ihr Ermessen ausübt, indem sie ein (bestandskräftiges) rechtswidriges Verkehrsverbot aufhebt? Meiner Meinung nach ist das einfach nur eine Nebelkerze, weil der Stadtverwaltung absolut nix besseres eingefallen ist, um ihre Willkür in irgendeiner Weise zu „begründen“.
Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist, dass die Stadt Pirmasens gar nicht merkt, dass die Berufung auf Satz 1 ihre Argumentation ja ebenfalls entkräftet. Denn jene Vorschrift zielt ja in erster Linie darauf ab, generell sehr sparsam mit Verkehrszeichen umzugehen. Das heißt, sie könnte die Einbahnstraßenregelung ja auch gerne vollständig aufheben, was ja ebenfalls mein Begehr, diese Straße zukünftig in beiden Richtungen befahren zu können, erfüllen würde.
Doch wie in der heutigen Zeit üblich, wird sogar der elementare Rechtsgrundsatz, dass ein Verbot einer besonderen Begründung bzw. besonderer Umstände bedarf, einfach ins Gegenteil verkehrt. So schreibt die Stadtverwaltung unter anderem:
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Öffnung der Einbahnstraße für gegenläufigen Radverkehr auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich wäre im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO.
Auf Deutsch: Nicht das Verkehrsverbot der Einbahnstraßenregelung selbst, sondern die Aufhebung dieses Verbots (bspw. durch ) müsse demnach „zwingend erforderlich“ sein! Klarer kann man den Satz 1 meiner Meinung nach kaum fehlinterpretieren; diese Passage spiegelt auf jeden Fall das „Denken“ einer Verwaltung wider, die die Freiheitseinschränkung für den Normalfall hält.
Ich werde meine Klage wohl nächste Woche eintüten; ob ein Antrag auf einstweilige Anordnung Sinn ergibt, muss ich mir noch überlegen. Wer sich die „Entscheidungsgründe“ selbst zu Gemüte führen mag, findet diese hier als pdf (1 MB). Ich hoffe insbesondere über Udo und de.rec.fahrrad auf einige Hinweise und Tipps, was unbedingt in die Klage mit rein sollte.
Abschließende Anekdote: Der Journalist der Rheinpfalz, der über die Sitzung des Rechtsausschusses berichtete, teilte mir mit, dass wieder mal eine Verkehrsschau stattgefunden habe, bei der ich zwar Thema gewesen sei, aber erneut (rechtswidrig) nicht eingeladen wurde. Hierbei hätten sich insbesondere Vertreter von der SPD in ablehnender Weise geäußert. Während im Rest des Landes überall Radverkehr in Gegenrichtung möglich ist, ist dies in der ihren Autowahn zelebrierenden Stadt Pirmasens aber natürlich „zu gefährlich„!