„Verkehrswende“ in der Provinz

Was mich an der illegalen Umleitung zwischen Winzeln und Gersbach auch ganz allgemein in den Wahnsinn treibt, sind die Dissonanzen, die sich aus dem Abgleich der tristen verkehrspolitischen Realität hier auf dem Lande unweit der französischen Grenze mit dem (dramatischen) Bild ergeben, welches auch von den „alternativen Medien“ gezeichnet wird. Nämlich dass die medial allgegenwärtige (im Kern jedoch nur in einigen großstädtischen Molochs symbolisch vorangetrieben werdende) „Verkehrswende“ zum baldigen Ende des motorisierten Individualverkehrs führen werde. Es gelingt mir jedoch ob meines siebenjährigen erfolglosen Engagements gegen die offene Diskriminierung des Radverkehrs hier in der hinterwäldlerischen Südwestpfalz nicht, all diese düsteren Szenarien am Ende nicht eben auch nur als Angstmache zu sehen.

Die „Verkehrswende“, so wie sie eben punktuell in einigen Großstädten vor allem in Bezug zum Radverkehr vorangetrieben wird, ist historisch betrachtet sowieso ein weiterer Rückfall in eigentlich längst vergangene, tiefbraune Zeiten. Weil diese „Radverkehrsförderung“ in der Regel eben durch „Radwege“ realisiert werden soll, die letzten Endes jedoch durch die (zwangsweise) „Trennung der Verkehrsarten“ (die bspw. der LBM in seinen Planfeststellungsverfahren auch unverblümt so benennt) dafür sorgt, dass man dem Kfz-Verkehr die lästigen Hindernisse aus dem Weg räumt, damit dieser zügiger vorankommt.

Der Kreisel in Ixheim (Stadteil von Zweibrücken) mag vielleicht auch vielen zu provinziell erscheinen; spiegelt er aber das grundsätzliche (auch in größeren Städten propagierte) System wider, nach welchem zukünftig der motorisierte und nicht motorisierte Verkehr auch innerstädtisch „geführt“ werden soll. Der Kfz-Verkehr hat auch dann Vorfahrt, wenn ihm gar kein Verkehrszeichen jene Vorfahrt gibt.

Nichts oder kaum etwas von den Alptraum-Szenarien vieler Autofahrer ist hier in und um Pirmasens zu spüren. Nicht einmal ansatzweise. Es herrscht das finsterste Mittelalter! Die Blicke, die ich von einigen Verkäuferinnen erntete, als ich vor einigen Wochen in der „neuen“ Kaufland-Filiale in Fehrbach relativ beharrlich darauf bestand, mehr als die lächerlichen vier(!) Stellplätze für Fahrräder anzubieten, waren ebenfalls bezeichnend. Man muss eigentlich nur das Luftbild von google maps verlinken, um die Pointe zu verstehen.

Jüngst kauften sich die Stadt Pirmasens und der Kreis Südwestpfalz aus der Fremde irgendwelche teuren „Verkehrsplaner“ aus Darmstadt ein (anstatt wiederum seit Jahren engagierte und sich auskennende Bürger zu engagieren), die dann sogenannte „Radverkehrskonzepte“ (die auch zumindest einen Teil des Horrors enthalten, den man aus den größeren Städten gewöhnt ist) erstellten, welche dann nach Verabschiedung im Stadtrat absolut niemanden mehr (vor allem nicht die Verwaltung) interessieren.

Über meine Klage zur Öffnung der überhaupt ersten(!) Einbahnstraße hier in Pirmasens für Radfahrer hatte ich berichtet; schon alleine die Stur- und Borniertheit, mit der diese Verwaltung mich über Jahre verarschte, belog und ignorierte, ist symptomatisch für deren vollkommen mittelalterliche verkehrspolitische und radverkehrsfeindliche Haltung. Als ich schon 2018 mit dem Thema Einbahnstraßen zu nerven begann, wurde im Rathaus wohl auch eine generelle Losung ausgegeben: „Eher friert die Hölle zu, als dass wir uns von diesem Schneble irgendetwas sagen lassen! Wir machen stets das Gegenteil davon.“

Nichts könnte die automobile „Mentalität“ der hiesigen Verwaltung, der Presse und auch der allermeisten Pirmasenser eben deutlicher widerspiegeln, als die nunmehr über vier Monate überdauert habende illegale Umleitung zwischen Winzeln und Gersbach. Sie passt in allen Belangen so überhaupt gar nicht zu dem, was uns permanent in Sachen „Verkehrswende“ propagandistisch vorgeführt wird. Nein, das, was sich hier abspielt, ist das absolute Gegenteil davon. Es ist pure Anti-Verkehrswende.

Da asphaltiert eine Verwaltung erst zwei Feldwege, stellt irgendwann Ampeln und Verkehrsverbotsschilder für Radfahrer und Fußgänger auf, schickt jene über eine unbefahrbare Piste über den Acker – und verstößt insgesamt betrachtet klarer gegen das Straßenrecht, wie es eigentlich selbst die voreingenommenste und mich für einen Idioten haltende Mitarbeiterin des MWVLW (bzw. LBM) kaum mehr leugnen könnte.

„Provinziell“ ist im Übrigen auch die Reaktion der betroffenen Anwohner: Es gab keine! Voller Ehrfurcht gegenüber einer Verwaltung, die ja schon in Sachen Corona stets vernünftig und nach Recht und Gesetz (und niemals schwachsinnig) agierte. Man – so hörte ich es aus einigen meiner Gespräche heraus – hatte allerdings wohl auch Angst vor der Reaktion der autofahrenden Mitbürger; wenn man genau der eine Quertreiber gewesen wäre, der am Ende (auch mittels Klage) dafür sorgt, dass die Leute den Umweg über die Bärenhütte hätten fahren müssen. So knurrt man zwar ein wenig, schaut aber tatenlos dabei zu, wie über ein halbes Jahr lang auch Schwerlastverkehr durch eine frisch sanierte Straße, die eigentlich ein verkehrsberuhigter Bereich ist, brettert. Tag und Nacht.

Wo ist da bitteschön diese ominöse „Verkehrswende“, vor der sich auch viele Pirmasenser Autofahrer fürchten? Man pustet ihnen stattdessen seit über vier Monaten regelrecht den Puderzucker in den Hintern! Während man gerade die Verkehrsart, die von vielen vermeintlich „Linksgrünen“ am Ende ja auch nur umweltpolitisch missbraucht wird, unverschämter diskriminiert, wie man es sich kaum noch vorzustellen vermag. Auch die hiesigen Grünen zeigten sich begeistert darüber, dass man die Radfahrer auf eine unbefahrbare Schotterpiste verbannt.

Wisst ihr, was tatsächlich hier in Pirmasens eine echte „Verkehrswende“ gewesen wäre? Wenn man diesen asphaltierten Weg im April mit Sperrpfosten oder Schranken verbarrikadiert hätte. Den Autofahrern hätte man folgendes empfohlen: Wer das Verkehrsmittel Rad kennenlernen will, kann im kommenden halben Jahr seine Fahrten in die Stadt zeitsparend mit dem Rad oder E-Bike direkt über diesen asphaltierten Weg, den die Verwaltung auch dem LStrG entsprechend als selbständigen Geh- und Radweg gewidmet hat, machen. Wer weiterhin mit dem Auto in die Stadt will oder muss, dem bleibt die offizielle (und dem LStrG entsprechende) Umleitung über Bärenhütte, Höheischweiler und B 10. Und obendrein die hiesige „kritische“ Presse diese Maßnahme auch ausdrücklich begrüßt hätte.

Jaha! Ich kann mir schon vorstellen, was da losgewesen wäre; wenn der stets behelmte und laut einiger Gerüchte mit seinem E-Bike auch sehr gerne mal über Gehwege (auch in Einbahnstraßen und / oder Fußgängerzonen) radelnde Oberbürgermeister Zwick eine solche Pressemeldung verfasst hätte. Diesen Shitstorm hätte er politisch (und evtl. auch physisch) nicht überlebt, da ihn der vorm Rathaus stehende Mob mit aus den Seitenfenstern gehaltenen Fackeln und Mistgabeln sofort aus selbigem für immer verjagt hätte.

Nur Provinz?

So kommen wir abschließend zur Frage zurück, ob das, was ich hier ständig erlebe, wirklich nur an einer provinziell „zurückgebliebenen“ Mentalität der politisch Verantwortlichen liegt? Ob wir hier hinter den sieben Bergen halt wirklich im Tal der Ahnungslosen sitzen? Ob wir (wie eigentlich bei allem) jedem Trend einfach nur schlappe 20 oder 30 Jahre hinterherhinken?

Oder ob am Ende die ganze Panikmache, die um die vermeintliche „Verkehrswende“ betrieben wird, eben am Ende auch nur das ist: Panikmache. Damit die Leute sich weiterhin an „ihr Auto“ klammern; ob nun Verbrenner oder mit Akku ist am Ende auch nicht mehr so wichtig. Denn nur dann (aus Angst) werden sie auch zukünftig jeden Preis zu zahlen bereit sein.

Ich neige daher auch zu Letzterem. Insbesondere auch im Hinblick auf das Thema, welches eigentlich ausschlaggebend dafür war, diesen Blog 2017 zu starten: Die bundesverkehrspolitische Bedeutung jenes Skandales im Zuge der B 10 durch den Pfälzerwald, der jenen zwischen zwei Pirmasenser Stadtteilen um Potenzen übersteigt. Und die völlige Ignoranz, die mir hierzu in rund sieben Jahren von allen(!) Seiten widerfahren ist. Auch auf dieser (deutlich höheren) Ebene ist, wie auch bei den aktuellen Straßenplanungen des LBM üblich, keinerlei Abkehr von der Beschleunigung und Privilegierung des Kfz-Verkehrs zu erkennen.

Dem motorisierten Individualverkehr wird sich (vor allem hier in der Provinz) auch noch in Jahrzehnten ALLES unterordnen müssen. Und (gerade auch arme) Radfahrer werden hier vermutlich für immer ein lästiger und rechtloser Bodensatz bleiben, mit dem man nach Belieben verfahren kann. Die Autofanatiker hier werden gar irgendwann so dreist sein und diesen weiterhin rechtlich nicht dem öffentlichen Verkehr dienenden Feldweg(!) auf eine orwell’sche Weise als „Radweg“ feiern, den genau jene Unterprivilegierten über ein halbes Jahr lang nicht benutzen durften, weil sie ja dann den „echten Verkehr“ aufgehalten hätten.

„Verkehrswende“? Am Arsch die Waldfee! Hier zumindest nicht; auch nicht in hundert Jahren. Das eigentliche Problem wird höchstens sein, dass – wir sind hier ja eben im Korporatismus – man sich tatsächlich irgendwann eben jenes eigene Auto nicht mehr wird „leisten“ können (oder wollen). So wie ich; seit 2015. Wenn ich bis dahin nicht verhungert bin, fällt mir vielleicht noch ein passendes Geschäftsmodell ein, um die verarmten Ex-Automobilisten an ihre neue Mobilitätsarmut zu gewöhnen?


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Illegale Umleitung: 29 Fragen

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