Coronoia: Gunnar Kaiser

Ich wusste, dass diese Meldung eines baldigen Tages kommen würde. Dass Gunnar Kaiser den Kampf gegen seine Erkrankung verloren hat. Es schockiert einen trotzdem. Das letzte Video, welches ich vor einigen Monaten von ihm sah, war eines vom Lake Tahoe aus den USA. Er erfüllte sich wohl mit einem klassischen Roadtrip durch das „Land of the Free“ seinen letzten großen Wunsch. Es ist faszinierend, wie heftig einen das viel zu frühe Ableben eines Menschen treffen kann, dem man persönlich nie begegnet ist. Was allerdings wohl auch daran liegt, dass auch gerade er mich mit seinen zahlreichen Videos gerade in den besonders schwarzen Corona-Wintern mit davon abhielt, mich von einer Brücke zu schmeißen.

Denn er hielt die Stellung. Er machte nicht mit. Er ließ sich nicht kompromittieren. Er verteidigte den Humanismus in einer Zeit der völligen Entmenschlichung. Kompensierte als kleiner schwurbelnder Philosoph mit einer unheimlich sanftmütigen Stimme das völlige Versagen der Intelligenzija eines ganzen Landes fast im Alleingang. Er gab seine Beamtenstelle als Lehrer auf. Und mir unter anderem im Rahmen wertvoller Interviews (wie jenes mit Professorin Gierhake) eine Bestätigung dafür, dass ein Mensch wie ich niemals ein Teil dieses (unmenschlichen bürokratischen) Apparates hätte werden können.

Als er dann irgendwann in einem Video erwähnte, dass ihn diese ständige Belastung, der endlose Kampf für das Gute gesundheitlich stark mitnehmen würde, konnte man noch nicht ahnen, dass er einige Zeit später wirklich schwer erkranken würde. Er stellte auch selbst einen möglichen Zusammenhang her; dass evtl. gerade dieser permanente physische und psychische Stress, mehr oder weniger die Welt retten zu wollen, seinen Körper an den Rand seiner Leistungsfähigkeit bringen würde. Und diese Schwäche nutzte der Krebs gnadenlos aus. Vermutlich hat er sich durch sein Engagement im wahrsten Sinne des Wortes für uns aufgeopfert.

Als ich und mein bester Kumpel im Frühjahr diesen Jahres zum ersten Mal nach der Winterpause auf den Kiosk-Bänken am See herumschwurbelten, ging es auch um Gunnar. Ein Jahr zuvor saß ich dort noch mit drei anderen Ungeschlumpften; einer davon war der Besitzer einer größeren Immobilie direkt gegenüber, mit dem ich mich in den letzten Jahren immer wieder mal unterhielt. Und der im Leben tragischerweise auch irgendwie immer an die Falschen geriet.

Im Januar 2021 traf ich mich ebenfalls dort mit einer gelegentlichen Leserin meines Blogs, die wiederum auch den netten Mann persönlich kannte, der regelmäßig mit seinem kleinen Hund auf einer der Kiosk-Holzbänke saß und das Leben genoss. Sie war es auch, die mir in diesem Frühjahr per e-mail mitgeteilt hatte, dass er nach kurzer und schwerer Erkrankung leider verstorben ist. Obwohl er einer der drei Ungeschlumpften war, die ich eben erwähnt hatte, hat es auch ihn zu früh erwischt.

Ich meinte, dass es bedauerlich sei, dass mein Kumpel ihn nie kennenlernen durfte; er hätte sicher (wie ich) viel zu lachen gehabt. Wie grausam doch immer wieder Menschen aus dem Leben gerissen werden; ob sie sich nun experimentelle Gentherapeutika oder auch nicht haben spritzen lassen. Immer noch versterben trotz unseres vermeintlich hochwertigen „Gesundheitswesens“ unzählige Menschen elend an schweren Krankheiten wie Krebs oder Organversagen.

Ich zog in jenem Gespräch den Bogen zu Gunnar Kaiser, dem es damals schon zeitweise ziemlich schlecht ging. Man erklärte ihn (wenn ich mich recht entsinne) sogar zu dieser Zeit schon einmal für tot. Ich äußerte auch im Hinblick auf den erst kurz zuvor in den Suizid getriebenen Clemens Arvay meine Befürchtung, dass es wohl leider auch nicht mehr lange dauern werde, ehe genau jene Meldung über Gunnar die Runde machen wird, die seine Angehörigen nun am 23. Oktober in seinem Telegram-Kanal veröffentlicht haben.

Ja, es ist irgendwie schon fast unheimlich, dass ich und mein Kumpel sich auch noch ausgerechnet bei einem von Gunnar Kaiser initiierten „Lagerfeuer der Hoffnung“ kennenlernten. Gunnars Buch „Der Kult“ fotografierte ich im März just auch an jenem Weiher; welches sein Team mir damals sogar netterweise als kostenloses Rezensionsexemplar übermittelt hatte – und auf diese Weise meine Tätigkeit als Blogger honorierte. Während unserer zahlreichen Besuche am Weiher erzählte ich auch mal über meinen Traum; wie unfassbar genial es doch wäre, gerade hier am See mal mit einem von Gunnars Kaliber herumzuschwurbeln.

Es wäre mir eine Ehre gewesen.

Danke für alles, Gunnar!


Siehe auch

Coronoia: Hinschmeißen


Reaktionen

5 Gedanken zu „Coronoia: Gunnar Kaiser“

  1. Ich bin auch sehr traurig, dass Gunnar es nicht geschafft hat. Immer wenn ich längere Zeit nichts von ihm auf Youtube sah und hörte, machte ich mir Sorgen, aber ich hatte doch immer die Hoffnung, dass er es schaffen würde. Er sah die letzten Monate wieder so gut aus und ließ es sich auch gutgehen auf seinen Reisen. Aber vielleicht hat er gespürt, gewusst, was ihm ja schon gesagt worden war, dass er nicht mehr lange zu leben hätte, und er hat ja mehrmals gesagt, dass er so gern noch die Welt sehen möchte. Das ist ihm wenigstens noch gelungen. Er war einer der Menschen, die meine Verzweiflung der letzten Jahre ein wenig gemindert haben. Als ich vorhin von seinem Tod las, war mir zum Heulen. Ich kann auch nur danke sagen.

    1. Ja, er schien sich für eine Weile erst einmal wieder aufgerappelt zu haben. Andererseits wollte ich ganz bewusst auch nicht „gaffen“; jemandem quasi sprichwörtlich via „Social Media“ beim Sterben zusehen. Aber ich dachte immer wieder an ihn; gerade auch am See. Und hoffte.

      Er fehlt. 🙁

  2. Ich bin beeindruckt von der Warmherzigkeit des Nachrufs gerade hier und wünsche Dennis Trost! Mir kam beim Lesen der Gedanke, daß Gunnar Kaiser vielleicht sogar verdient, Märtyrer genannt zu werden. Zumindest empfinde ich ihn, sein Schicksal mehr so denn als Opfer. Sicher besiegte ihn eine tückische Krankheit, der er sich aber bis zum Schluss mit wachem Verstand nicht nur stellte, sondern ihr die Stirn bot, indem er sie nicht schon zu Lebzeiten die Oberhand gewinnen ließ, denn er war bis zuletzt bestimmt von seinem Kampf für eine gerechtere Welt. Mir ist er damit Vorbild, der aufrechte Berufskollege.

  3. Ich sah nie eines seiner Videos, weil ich mich auf Textquellen zur Recherche beschränke, aber einmal muss ich doch Fotos oder Texte von ihm gelesen haben, weil ich mir damals schon dachte, dass der Mann an dieser Last zerbrechen wird. Ich habe das verdrängt und ausgeblendet, weil ich es nicht sehen konnte. Weil ich vermutlich ganz genauso im Leben funktioniere: Ich gebe so viel Kraft und Energie in aussichtslose Kämpfe.. reibe mich immer wieder daran auf.

    Ich fühle sehr mit ihm und seinen Angehörigen. Aber dennoch wünsche ich uns allen, dass wir es schaffen, nicht an dem Elend dieser Welt zu zerbrechen. Dass wir es schaffen, für uns selbst da zu sein, uns nicht bis aufs Letzte zu verausgaben für Gerechtigkeit, Menschenwürde und die eigene Moral. Auch wenn es heldenhaft ist, aber lasst uns uns nicht selbst wegen und von dieser barbarischen Welt und dieser vielen bösartigen Menschen kaputt machen.
    Ich hoffe, dass wir trotz des Schreckens in der Welt und unserer Bemühungen wirklich immer darauf achten, dass die Lebensflamme noch reicht, damit wir selbst ein gutes Leben führen können. Wir müssen die Last der Welt nicht auf unseren Schultern tragen! Und ich sehe es genauso: Es trifft fast immer die Falschen. Aber das liegt, wie an anderer Stelle angemerkt, auch meiner Meinung nach daran, dass die aufrichtigen Menschen, die die lieben können und hinschauen können, so feinfühlig und verletzbar sind, weil sie noch offen sind, noch eine Seele haben, noch über Rückgrat verfügen. Die Menschen trifft diese barbarische Welt am härtesten, weil sie es nicht beherrschen, alles einfach den Buckel runterutschen zu lassen. Weil sie eben noch Werte haben, über Integrität verfügen. Ein gewissenloser, rücksichtsloser, egoistischer und arroganter Mensch macht sich nicht viel aus Schmerz und Gefühlen. Er wird größtenteils abspalten und verdrängen, um sein krankes Spiel weiter zu spielen. Aber die wirklich echten Menschen zerbrechen viel zu oft an diesen ganzen Sachen, so wie bei Arvay. Auch wenn es egoistisch klingt, so sage ich wirklich, dass man in allererster Linie gut mit sich selbst umgehen sollte.

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