Schräge Vögel und scheinheilige Ärzte

Wie bereits erwähnt, hatte ich am Samstag mal wieder eine zufällige Begegnung unterwegs. Ich habe eben mal im e-mail-Archiv nachgeschaut, wann wir uns im Netto in der Waisenhausstraße zum ersten Mal über den Weg liefen; es war im Dezember 2017. Ein komischer Typ sprach mich an der Kasse an; weil er mich unterwegs immer wieder auf dem Rad sehen würde. Er drückte mir ein Visitenkärtchen eines Versicherungsfritzen in die Hand. Passte irgendwie gar nicht zu dem, was er mir vorher erzählt hätte; dass er auch ein total unangepasster Typ wäre. Jedenfalls brachte der Austausch der e-mail-Adressen auch nicht viel; ein wirklicher Dialog kam über die folgenden Monate nicht zustande.

Im Sommer 2018 begegnete er mir an einem heißen Tag zufällig auf dem Fahrrad bei Gersbach. Er war, wie so oft, unterwegs, um sich Vögel in der freien Wildbahn anzusehen. Wir gerieten in einen lauten Streit, weil er (der angeblich geläuterte, unangepasste Versicherungsfritze) meinen vor allem auf Verweigerung des klassischen Hamsterrades basierenden und sich auch anderen gesellschaftlichen Zwängen (wie z. B. dem Besitz eines Telefons) nicht unterwerfenden Lebensweg in einer ziemlich verächtlich machenden Weise kommentierte. Ich mag übrigens auch gerade deshalb das Kommunikationsmittel e-mail – weil diese elektronischen Briefe auch rückblickend eine gute Erinnerungsstütze sind.

Damals lebte er noch in Pirmasens und lief bzw. fuhr mir mehrmals über den Weg; einmal schrie er regelrecht hinter mir her; dass er nochmal reden wolle. Nein; das hatte er sich verschissen. Ich fuhr mehrere Male wortlos an ihm vorbei und schrieb ihm Ende 2018 auch nochmal ganz deutlich, dass ich keine Lust mehr auf sinnlose Diskussionen hätte; weil er nicht verstehen wolle, was mich antreibt. Im September 2019 kam es dann zur nächsten zufälligen Begegnung im Edeka in Wallhalben. Ich gab ihm zumindest noch eine Chance und hörte ihm für ca. 5 Minuten zu.

Bevor der Corona-Scheiß hochkochte, lief er mir wieder irgendwo über den Weg. Er meinte, dass das alles kein Zufall wäre. Ich schon. Die nächste Eskalation erfolgte im Mai 2020; nach Beginn des Corona-Putschs. Es ruschelte per e-mail noch einmal gewaltig. Nicht, weil er etwa ein Zeuge Coronas gewesen wäre, im Gegenteil. Er erhielt in einem Penny sogar Hausverbot, weil er sich nicht für eine Packung Milch einen Einkaufwagen nehmen wollte. Nein, es endete weil er mir u. a. das hier schrieb:

Ich kann’s, ich brauche niemand und schon gar keinen Weltverbesserer der meint er hätte die Weißheit des Herrn erhalten und mit sich selbst noch nicht mal im reinen ist.

Und dann war wieder für ein paar Jahre Ruhe. Alle weiteren Begegnungen mit ihm, vor allem, wenn er mit seinem roten Ford unterwegs war und aus dem Seitenfenster rief, ignorierte ich. Seine e-mail-Adresse landete in einer Filterliste. Ich wollte von ihm nix mehr hören und sehen. Auch ich habe meine Grenzen.

Im letzten Jahr pausierte ich auf der Bank am Schmitshausener Aussichtstürmchen und genoss die Stille. Und wer fährt mit seinem Auto wieder an mir vorbei? Genau. Erneut laberte er mir ein Steak an die Backe. Inzwischen hatte er zu allem Überfluss auch noch „Gott“ bzw. „Jesus“ entdeckt. Um Himmels Willen! Ich verdrehte die Augen. Ich kann als Atheist nicht anders. Ich lasse ja jedem seinen „Glauben“ an „höhere Mächte“ – aber drängt sie mir bitte nicht auf. Oder erwartet von mir, dass ich nur dann „glücklich“ werden könne, wenn ich die triste Realität auf diese Weise verleugne.

Ich war froh, dass er bald wieder die Biege machte. Trotzdem sah ich seinen Ford immer wieder; weil er halt häufig in einer Kante unterwegs ist, in der ich auch öfters mal rumfahre. Ich fuhr mein Programm des Ignorierens fort. Das hatte ich auch am Samstag vor, als er mich überholte und an der folgenden Einmündung wartete. Es habe irgendeine übernatürliche Bedeutung, warum wir uns immer wieder begegnen würden. Ich verneinte erneut; es ist Zufall. Obwohl ich keine Lust hatte, gab ich ihm eine weitere Chance; wir redeten vor allem auch über unsere Erfahrungen während der Corona-Jahre. Er hat den ganzen Scheiß zwar nicht mitgemacht, im „aktiven Widerstand“ war er jedenfalls auch nicht.

Ja, auch er hatte über all die Corona-Jahre meinen Blog nie verfolgt. Das habe ich ihm in unserem Gespräch nicht direkt vorgeworfen; aber es schmerzte mich halt einmal mehr unheimlich, die Bestätigung dafür zu erhalten, wie wertlos meine Arbeit auch für ihn war. Und wie wenig die Menschen sich darum bemühen, mit anderen zu kommunizieren, wenn sie nicht unmittelbar physisch mit dem anderen konfrontiert werden; sondern einfach nur ein Lesezeichen anklicken müssten, um auf dem Laufenden zu bleiben. Jedenfalls mag er mir bzgl. der brutalen Konsequenzen meines Lebenswegs, die er zudem ein wenig verharmloste, zugehört haben; wirklich verstanden hat er mich jedoch auch weiterhin nicht.

Im Gegensatz zu ihm sehe ich in unseren Begegnungen eben keinen tieferen Sinn oder gar ein „göttliches Zeichen“; dass uns da irgendetwas zusammenführen möchte. Ich hatte mir eine Anmerkung verkniffen, wonach ich hierüber im Blog ja gerade erst geschrieben hätte. Wie wert- und nutzlos all diese Begegnungen im Endeffekt sind; so auch mit Udo Bölts neulich. Weil sich für mich persönlich aus all jenen nie etwas wirklich tragfähiges oder dauerhaftes ergab.

Wie beispielsweise auch der inzwischen wohl endgültig gerissene Kontakt zu einer Blogleserin, mit der ich mich Anfang 2021 mal bei winterlichen Temperaturen am Schöntalweiher traf. Wir verstanden uns gut, aber auch hier entwickelte sich kein regelmäßiger persönlicher Austausch. Sie schaute auch mit dem Nachlassen des Corona-Terrors immer seltener in meinen Blog. Ich gab mir aber Mühe und erkundete mich immer wieder mal nach ihrem Befinden.

Das letzte Jahr war aus familiären Gründen sehr schwierig für sie. Nach dem Scheitern meiner Klage und der ersten Pause des Blogs baute sie mich wenigstens ein wenig auf, indem sie einfach nur meine e-mails las. Mir „zuhörte“. Mich mit Respekt; wie einen Menschen behandelte. Sie teilte mir damals auch mit, dass „der Mann vom gelben Haus“ (am Südufer des Schöntalweihers) gestorben sei, welchen ich in meinem Nachruf an Gunnar Kaiser erwähnte.

Im Oktober griff sie mir auch finanziell ein wenig unter die Arme, indem sie mir einen Hunni überwies. Es handelte sich dabei um das Honorar für ein „Wandercoaching“, welches die Anbieterin nicht haben wolle. Sie solle es jemandem geben, der es nötiger als sie hätte. Als ich auf die Überweisungsdaten schaute, fragte ich nach, ob das etwa diese Ute D. sei, die ich auch kennen würde? Ja, war sie.

Eine bloggende Ärztin aus der Ärztegruppe der Pirmasenser „Denkfabrik“; wie sich jene coronakritische Gruppierung immer noch nennt, aus der man mich im Frühjahr 2022 rausmobbte, weil ich nicht zu allem Ja und Amen sagen wollte. Auch mit ihr versuchte ich, gerade auch deshalb, weil sie selber bloggt, einen persönlichen Kontakt aufzubauen; nicht nur, weil ich ihrer Mutter ab und an im Garten half und mit ihrem Nachbarn (den ich auch in der „Denkfabrik“ kennenlernte) die ein oder andere MTB-Tour drehte.

Ich wurde von ihr eiskalt zurückgewiesen, persönliche e-mails wurden nicht beantwortet. Ob das eventuell auch mit den (intrigierenden?) Damen zu tun hatte, die jene „Denkfabrik“ autokratisch führen, weiß ich nicht. Es ist mir auch egal. Es war einfach unhöflich und respektlos, einem zunehmend verzweifelnden Menschen die kalte Schulter zuzudrehen. Gerade auch von einer Ärztin, die in ihrem Blog sehr viel über „Jesus“ und „ihn“ (also „Gott“) schreibt. In meiner letzten e-mail an sie fragte ich, was Jesus wohl darüber denken würde, dass sie mich wie einen („ungeimpften“) Aussätzigen behandele?

Ihre Mutter hat danach nie wieder nach meiner Hilfe im Garten gefragt. Im Gegensatz zu ihr meinen, habe ich ihren Blog immer verfolgt; auch wenn mir das religiöse Geseier schon zu Beginn gewaltig auf den Wecker ging. Aber sie hat eben auch, wie ich und der schräge Vogel, eine starke Verbindung zur Natur – und in ihren Texten findet man (wenn man die religiöse Soße mal beiseite schiebt) durchaus treffende und passende Gesellschaftskritik.

Nachdem ich (nach langer Verzweiflung) die örtliche Gruppierung gefunden hatte, waren für mich gerade die „geheimen“, regelrecht konspiratorischen Treffen auf einem ehemaligen Firmengelände in Pirmasens ganz besondere Erlebnisse. Als es Anfang 2022 noch „illegal“ war, sich mit anderen Menschen zu treffen, saßen wir am Kamin und führten philosophische, tiefgründige Gespräche über das, was um uns herum geschah. Man lernte wenigstens ein paar andere um einen herum auch kennen; wie zum Beispiel die eine Frau, die eine Überlebende der Flugschau-Katastrophe von Ramstein war.

Doch dann kamen die „Lockerungen“ – und wo früher am wärmenden Feuer geredet wurde, wurde nun laut getrommelt und getanzt. Nichts für mich. Ich kann mich noch gut an jenen Abend erinnern, als ich nach dem samstäglichen Spaziergang wieder dort aufschlug. Und wie einsam und unverstanden ich mich – umringt von lauten, fröhlichen und tanzenden Menschen – plötzlich wieder fühlte; weil niemand mehr (über wirklich relevante Themen) reden wollte. Ich stand so da, leise und unauffällig am Rand.

Die Ärztin kam (mit irgendeinem Instrument) rein, begrüßte mich und meinte, ich hätte einen geilen Blog. Tja, das war dann wohl gelogen. Ihr Nachbar lotste mich im Sommer 2022 noch zum Haus ihrer Mutter, wo sie ein (sehr) kleines Flammkuchen-Grillfest veranstaltete; aber auch hier spürte ich kein wirkliches Interesse an mir und meinem Lebensweg. Eine Distanziertheit.

Ich bin mir sicher, dass ihr die Widersprüchlichkeiten selbst nicht bewusst sind, welche sie im (Nicht-)Umgang mit verarmten, einsamen und unglücklichen Menschen wie mir pflegt. Vor allem, wenn sie in ihrem Blog Zeilen wie diese hier schreibt:

Dieses leise Dasein berührt mich. Laut ist die Welt eh schon. Uns wird beigebracht, dass man sich profilieren soll, Werbung machen, mit den Schwertern rasseln und all so ein Krampf. Sich in den Vordergrund spielen, wichtig sein, mitten drin sein, wen darstellen, auf Gewinnmaximierung aus sein usw…!?!

Schon lange haben mich die Randständigen, die Unauffälligen, die Leisen mehr interessiert. Vielleicht auch weil: die anderen hört man ja eh schon von Weitem! Man sieht sie auf Bühnen, sie sind laut und sichtbar.

Sie kannte genau so einen leisen, unauffälligen Randständigen. Sie hat sich kein Bisschen für ihn interessiert, weder damals beim Trommeln, noch später, als er mit ihr gerade auch über solche Themen kommunizieren wollte. Er verschwand; im dichten Nebel ihrer Ignoranz.

Und im Gegensatz zum schrägen Vogel, der wirklich hart daran gearbeitet hatte, sich meine Ignoranz zu verdienen, wollte ich von ihr nur gehört (bzw. gelesen) werden.


Siehe auch

https://www.ps-radler.de/?p=12386

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