Das Urteil 1 K 223/22 des VG Leipzig

Im vergangenen November frohlockte ich aufgrund einer damals bei Twitter in der Radbubble die Runde machenden Meldung des ADFC Sachsen, dass eine Gemeinde eine „Straße nicht einfach so für Fahrräder sperren“ könne. Ich bat damals darum, man möge mir doch bitte das Aktenzeichen und das Datum der Entscheidung nennen bzw. jene übermitteln. Als ich nach fast zwei Wochen von der Landes-Pressestelle(!) des ADFC Sachsen immer noch keinerlei Antwort erhalten hatte, bedankte ich mich ironisch. Hatte ich doch gehofft, dass die Entscheidung sich gut auf die illegale Umleitung zwischen Gersbach und Winzeln übertragen ließe. Nach einiger Zeit schaute ich mir noch einmal die Seite an und fand dort auch die genannte, inzwischen veröffentlichte Entscheidung.

Das Problem hierbei: Die Begründung des Leipziger Verwaltungsgerichts hat wenig bis gar nichts mit dem zu tun, was der ADFC in seiner Meldung behauptete. Bei der Klage drehte es sich um die Anordnung eines Radverkehrsverbots mittels Zeichen 254 – Verbot für Radverkehr – auf der Kippenrandstraße in Wischstauden bei Groitzsch. Die Beschilderung im Zuge des schmalen Sträßchens ist auf mehreren Aufnahmen von Google Maps dokumentiert; so zum Beispiel hier bei Brösen und hier bei Wischstauden. Auslöser für das Verkehrsverbot war eine Brückensperrung und der dadurch auf jene Straße verlagerte Schwerlastverkehr.

Der ADFC beschränkt sich in seiner Meldung im Wesentlichen auf die Begründungen der Klägerseite, welcher jedoch das Gericht im Wesentlichen gar nicht gefolgt ist. Auch die Pirmasenser Stadtverwaltung „begründete“ unter anderem das Verkehrsverbot für Radfahrer zwischen Gersbach und Winzeln mit der unzureichenden Breite des (gar nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmeten) Wirtschaftsweges. Da ein sicheres Überholen dort nicht möglich sei, ging man nicht etwa gegen die Gefährder, sondern gegen die Gefährdeten vor, indem man sie ein halbes Jahr lang auf eine unbefahrbare Schotter- und Dreckpiste verbannte.

Der ADFC schrieb auf seiner Seite u. a. Folgendes:

Ein Mitglied des ADFC legte vor zwei Jahren Widerspruch gegen das Fahrradverbot ein, doch die Gemeinde winkte ab: Wegen der seit 2021 in der StVO festgelegten Regel des Überholabstands von mindestens 1,50 m sei die Straße zu schmal, dass Lkw Fahrräder ordnungsgemäß überholen könnten. Die Straße sei stellenweise nur 3,60 m breit, ein StVO-konformes Überholen an diesen Stellen angeblich nicht möglich. Deshalb sei die Sperrung rechtens, so die Gemeinde.

(…)

Unterstützt vom ADFC folgte nun die Klage gegen die Gemeinde auf eine Entfernung der rechtswidrigen Sperr-Schilder. Denn es war davon auszugehen, dass diese absurde Praxis um sich greifen würde: Mit der vorgeschobenen Begründung des in der StVO vorgeschriebenen Sicherheitsabstands könnten Straßenverkehrsbehörden von nun an willkürlich Straßen für den Radverkehr sperren, wo Radfahrer den Autoverkehr „ausbremsen“.

Als ich vorhin die Begründung des Gerichts durchging, war ich bitter enttäuscht. Denn jenes hat sich hierzu gar nicht geäußert. Weiter schrieb der ADFC Sachsen:

Eine schmale Straße stellt für sich allein keine besondere örtliche Gefahrenlage dar, die eine Sperrung für den Radverkehr rechtfertigen könnte, auch nicht bei Lkw-Verkehr. Eine Gemeinde kann ein Verbot für den Radverkehr nicht anordnen, um den Verkehrsfluss zu erhöhen, da dies kein gültiges Kriterium nach § 45 Abs. 9 StVO darstellt. Auf der wenig befahrenen Straße seien zudem keine ungewöhnlichen örtlichen Gefahrenlagen erkennbar. Darüber hinaus sei bereits Tempo 30 angeordnet. Die Geschwindigkeit von Kraftfahrern sei daher nicht einmal stark beeinträchtigt. Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte die Interessen der Radfahrenden nur unzureichend in ihre Erwägungen eingestellt habe.

Nur, damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich würde diese Einschätzung und rechtliche Bewertung des Klägers im Wesentlichen teilen. Das Problem hierbei ist, dass der ADFC hier jene Sichtweise des Klägers so darstellt, als wäre das Gericht ihm quasi uneingeschränkt gefolgt. Dies ist jedoch gar nicht der Fall. In den Ausführungen zur Begründetheit der Anfechtungsklage stellt das VG Leipzig in Gestalt des Widerspruchsbescheids durchgreifende Ermessensfehler fest.

Ziemlich peinlich für ein deutsches VG ist allerdings die Schludrigkeit, im letzten Absatz auf Seite 7 von der „Anordnung einer Fahrradstraße“ zu sprechen. Dabei meinte es wohl eine „Anordnung eines Radverkehrsverbots“. Wie dem auch sei; der wesentliche Grund dafür, warum es die Anfechtungsklage für begründet hielt, war jedoch keiner der auf der ADFC-Seite genannten Gründe.

Es bezog sich im Wesentlichen auf die Tatsache, dass der (nördlich von Wischstauden gelegene) Wertstoffhof generell nicht mehr mit Fahrrädern erreichbar war. Auf Seite 8 ist u. a. Folgendes zu lesen:

Ausgehend hiervon sind bei der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 27.8.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landkreises Leipzig vom 24.1.2022 durchgreifende Rechtsfehler gegeben. Denn die Beklagte ist bei der verkehrsrechtlichen Anordnung hinsichtlich der Erreichbarkeit des Wertstoffhofs Groitzsch-Wischstauden durch Radfahrende von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen und hat dadurch die Belange der Radfahrenden nicht ausreichend in die Erwägungen eingestellt.

Die näheren Ausführungen hierzu muss man sich eigentlich auch nicht mehr im Detail ansehen. Ohne die Tatsache, dass auf jener Verbotsstrecke ein Wertstoffhof (eine – so das Gericht – Einrichtung der Daseinsfürsorge) liegt, hätte das VG die Klage höchstwahrscheinlich abgewiesen. Denn unter Ziffer 3 weist jenes Gericht auch im Hinblick auf die erneute Ermessensentscheidung durch die Behörde darauf hin, dass es den sonstigen Argumenten des Klägers tendenziell eher widerspricht. Insbesondere stellt es (Siehe Buchstabe b) fest, dass auf jener schmalen Straße grundsätzlich eine „besondere örtliche Gefahrenlage“ im Sinne des § 45 (9) S. 3 StVO vorliegt.

Zu all jenen für den Sachverhalt bei Pirmasens interessanten Punkten (vor allem, was ein Verkehrsverbot unter Berufung auf nicht ausreichende Überholabstände betrifft) hat sich das Gericht (entgegen der Darstellung durch den ADFC Sachsen) leider nicht (oder wenn, dann tendenziell eher negativ) geäußert.

Das muss zwar nicht heißen, dass das Gericht nicht auch andere Argumente des Klägers für ausreichend gehalten hätte. Es hat sich aber nun einmal in seinem Urteil ausschließlich auf den Ermessensfehler in Gestalt der Nichterreichbarkeit des Wertstoffhofs beschränkt.

Und das nützt mir in Bezug zu meinem Problem (der Feststellung, dass die Maßnahme bei Pirmasens offenkundig rechtswidrig war) letztlich leider gar nichts. Nachweislich völlig falsch ist daher auch die abschließende Schlussfolgerung des ADFC:

Für den ADFC Sachsen handelt es sich um einen vollen Erfolg. Auch vor Gericht konnte bewiesen werden, dass ein Radfahrverbot unzulässig ist, wenn vermeintlich anderer Verkehr ausgebremst wird. Wir gehen fest davon aus, dass dieses Urteil eine Signalwirkung für andere Kommunen hat.

Genau das lässt dieses Urteil auch weiterhin grundsätzlich zu. Die Frage ist, warum der ADFC derartige Meldungen verfasst, die bei halbwegs juristisch bewanderten Menschen Hoffnungen wecken; die sich jedoch bei genauerem Hinsehen völlig in Luft auflösen? Leider spricht auch die unprofessionelle (weil patzige) Art und Weise, wie man auf meine Kritik bzgl. der Nichtbeantwortung meiner Anfrage reagierte, dafür, dass auch hier Menschen arbeiten, welchen es an der notwendigen fachlichen Befähigung mangelt.

Eine „Signalwirkung“ hat dieses Urteil jedenfalls überhaupt nicht.

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