Netterweise wurde ich ja in diesem Kommentar darauf hingewiesen, dass im Blog itstartetwithafight ein Gastbeitrag eines erfolgreichen Klägers veröffentlicht wurde. Das Verwaltungsgericht Aachen hatte am 3. April 2018 über einen nicht ganz unähnlichen Fall zu entscheiden, ob die Sperrung per eines ca. 1,1 km langen Abschnitts der Landstraße bei Eschweiler rechtmäßig ist. Die Richter der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts schlugen dabei der zuständigen Verkehrsbehörde in ihrem Urteil ihre schlampige und damit quasi vollkommen unbegründete Anordnung förmlich um die Ohren. Denn die Behörde hatte die Sperrung des folgenden Abschnitts lediglich mit der geänderten Ampelsteuerung an den vorherigen Knotenpunkten begründet.
Vorab erfolgt in Randummer 4 die Klarstellung, welche Knotenpunkte in diesem (ziemlich umfangreichen) Urteil gemeint sind:
Der Knotenpunkt 24 ist der nördliche Teil der Autobahnanschlussstelle (BAB 4) Eschweiler West. Ihm vorgelagert (in Richtung Eschweiler) ist der K 23 als südlicher Teil der BAB 4 Auf-/Abfahrt und der K 1 (Kreuzung Rue de Wattrelos – Aachener Straße/L 223). Der Abstand zwischen den Knotenpunkten beträgt ca. 240 m.
Gefahrenlage des gesperrten Abschnitts
Eine Feststellung des Gerichts im sehr langen Urteilstext bezieht sich auf eine „Gefahrenlage“, welche auch an der B 10 vorliegen soll. Das Verwaltungsgericht dazu in Randnummer 52:
Weder aus dem Streckenverlauf noch aus dem Ausbauzustand der Straße ergibt sich vorliegend eine qualifizierte Gefahrenlage. Die Rue de Wattrelos verläuft in diesem Teilstück gradlinig, ohne Verschwenkungen und ist insgesamt übersichtlich. Zwar sind in diesem Teilstück keine Radwege, keine Seitenstreifen und keine Straßenbeleuchtung vorhanden und beträgt die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke einschließlich des Schwerlastverkehrs ca. 14.800 Fahrzeuge. Besondere örtliche Verhältnisse, die abweichend von denjenigen örtlichen Verhältnissen sind, die im weiteren Verlauf der Rue de Wattrelos bzw. L 238 – etwa ab der Kreuzung Alsdorfer Straße/Auf dem Felde – bestehen, und demgegenüber eine gesteigerte Gefahrenlage begründen könnten, sind jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr ist abweichend von der grundsätzlich außerhalb von geschlossenen Ortschaften geltenden Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h (§ 3 Abs. 3 StVO) die Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt. Die Verkehrssituation bzw. Gefahrenlage entspricht derjenigen, den Radfahrer an stärker befahrenen Landstraßen außerhalb geschlossener Ortschaften ohne Radwege und Seitenstreifen häufig begegnen.
Hier zeigt sich, dass auch an der B 10 trotz der hohen Verkehrsbelastung keine „Gefahrenlage“ im Sinne des § 45 StVO vorliegen muss. Denn laut Verkehrsstärkenkarte 2015 des LBM beträgt die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke auf dem Abschnitt der B 10 zwischen Hinterweidenthal und Hauenstein 16.571 Fahrzeuge (bei einem allerdings recht hohen Anteil des Schwerlastverkehrs von 18 %). Was nebenbei bemerkt zeigt, dass die parallel verlaufende Bahnstrecke wieder für den Güterverkehr ausgebaut werden sollte. Vielmehr zeigt das Urteil, dass auch durch die Anordnung von eine „Gefahrenlage“ weiter „entschärft“ werden kann. Und genau dies habe ich ja von der KV Südwestpfalz gefordert: Aufhebung des Radverkehrsverbots und Anordnung von Tempo 70! Die B 10 ist dort überwiegend im 2+1-System ausgebaut – was das Überholen für den Kfz-Verkehr deutlich erleichtert.
Ebenfalls begrüßenswert ist, dass das Gericht im letzten Satz zudem noch einmal ausdrücklich feststellt, dass die Verkehrssituation sich dort nicht von dem unterscheidet, was an Straßen ohne Radwege für Radfahrer ganz normaler Standard ist!
Gefahrenlage Knotenpunkte
In Randnummer 53 stellt das Gericht allerdings fest, dass auf dem Weg bis zum eigentlichen Verkehrsverbot (zwischen K 23 und K 24) eine solche „Gefahrenlage“ vorliege:
Von einer qualifizierten Gefahrenlage i.S.d. § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO, die für einen Radverkehr als Mischverkehr auf der Fahrbahn das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Rechtsgüter des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO – sowohl für Radfahrer als auch Fahrzeugführer – erheblich übersteigt, ist indes in dem Bereich zwischen bzw. an den K 23 und 24 auszugehen. Die dortige Gefahrenlage erfasst auf Grund der örtlichen Verhältnisse darüber hinausgehend auch das von dem streitgegenständlichen Verbot betroffene Teilstück der L 238.
In Randnummer 54 werden die Beweggründe der Verwaltung für die Sperrung genannt. Die Behörde hat den folgenden Straßenabschnitt selbst nicht wegen dessen vermeintlicher Gefahrenlage gesperrt, sondern weil jene den Knotenpunkt 24 davor (bzw. den gesamten Abschnitt ab der K 1) selbst für „zu gefährlich“ hielt:
Auch den Ausführungen der Beklagten im Verwaltungs- und Klageverfahren lässt sich entnehmen, dass nicht die örtlichen Verhältnisse in dem gesperrten Straßenabschnitt für die Anordnung des Verbots maßgebend waren, sondern vielmehr Ausgangspunkt die besonderen örtlichen Verhältnisse und die Gefahrenlage in dem Knotenpunkt 24 bzw. zwischen den K1, K 23 und K 24 waren. Diese waren ausschlaggebend für die Änderung der Signalisierung an den Knotenpunkten und in deren Folge bei der Anpassung des Signalprogramms am K 24 auch für die Anordnung der VZ 254, wie sich der Begründung dieser Anordnung entnehmen lässt.
Engüberholen begründet Gefahrenlage?
Nebenbei finden sich in diesem Urteil auch noch mehr als zweifelhafte Aussagen wie beispielsweise jene in Randnummer 56:
Mit Blick auf die dargelegte Verkehrssituation und komplexe Verkehrsführung ist zudem eine erhebliche Gefährdung von auf der Fahrbahn fahrenden Radfahrern durch riskante – gegen die Vorschrift des § 5 Abs. 2 und 4 StVO verstoßende – Überholmanöver ungeduldiger Autofahrer nicht auszuschließen.
Das (möglicherweise) rechtswidriges Verhalten von Verkehrsteilnehmern keine „Gefahrenlage“ im Sinne des § 45 StVO begründet, hatte das VwG Schleswig bereits in seinem Urteil (3 A 124/14) vom 24.02.2016 festgestellt.
Gefahrenlage insgesamt
In den Randnummern 58 bis 63 wird festgestellt, dass auf dem gesamten Abschnitt zwischen K 1 und K 24 eine „Gefahrenlage“ vorliege, weshalb dort (wohl allerdings zwischen K 23 und K 24 nur lückenhaft, siehe Rn. 60 – hier wird wohl das Gehwegradeln auch richterlich geduldet…?) eine Radwegbenutzungspflicht angeordnet sei. Interessant wird es wieder in Randnummer 64:
Die besonderen örtlichen Verhältnisse und die daraus resultierende besondere Gefahrenlage tragen nach Auffassung des Gerichts auch das streitgegenständliche Verbot für den Radverkehr, da damit vor allem ein Einfahren von Radfahrern in den Kreuzungsbereich K 24 insbesondere von der Nebenanlage aus oder eine Querung des K 24 und damit eine weitere besondere Gefahrenlage unterbunden wird. Dabei ist das weitere Teilstück der L 238 auf Grund der vorhandenen örtlichen Gegebenheiten an dem K 24 zwangsläufig in das Verbot einzubeziehen. Denn dieses Teilstück der L 238 kann auf Grund der baulichen Ausgestaltung an dem K 24 nicht losgelöst bzw. isoliert von dem durch die Autobahnanschlussstelle geprägten Teilstück der L 238 zwischen den K 23 und 24 betrachtet werden, da es diesem unmittelbar vor- bzw. nachgelagert ist.
Im Grunde sagt hier das Verwaltungsgericht den Radfahrern erst einmal: „Pech gehabt“! Weil die Straßenbaubehörden die Wiederaufleitung des Radverkehrs auf die L 238 an einem Knoten einfach gar nicht mit eingeplant haben, wird jenem dann halt einfach auch der folgende Abschnitt (obwohl ohne „Gefahrenlage“) verboten!
Gefahrenlage: Ja, aber!
Festzuhalten bleibt also auch hier: „Gefahrenlage“ (wie wohl auch an der B 10) laut Gericht vorhanden. Aber das Urteil hat ja noch ein paar Randnummern (68 bis 70):
Die Anordnung des Verkehrszeichens 254 erweist sich jedoch als ermessensfehlerhaft.
Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 3 i.V.m. Absatz 1 StVO vor, steht die Entscheidung, ob und wie eine Gefährdungslage bewältigt wird, im Ermessen der Behörde. Diese Ermessensentscheidung ist durch das Gericht nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, § 114 Satz 1 VwGO.
Insoweit ist zu überprüfen, ob die angeordnete Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet ist, kein milderes gleichgeeignetes Mittel zur Verfügung steht und ob die Beklagte die betroffenen bzw. widerstreitenden Interessen der verschiedenen Arten von Verkehrsteilnehmern unter Berücksichtigung der relevanten örtlichen Gegebenheiten gegeneinander abgewogen und die Konfliktlage für die betroffenen Verkehrsteilnehmer zumutbar aufgelöst hat.
Also wie auch an der B 10 – eine (auch strukturell bedingte) „Gefahrenlage“ begründet letzten Endes kein pauschales Verkehrsverbot. Neben den für lückenhafte Radverkehrsinfrastruktur üblichen Mängeln (Randnummern 71 und 72) bemängelt das Gericht in Randnummer 73 die Tatsache, dass die Interessen des Radverkehrs bei der Ermessensausübung im Grunde gar nicht berücksichtigt wurden:
Schließlich hat die Beklagte die Interessen der Radverkehrs – und insoweit auch des Klägers als Radfahrer – nur unzureichend in ihre Abwägungsentscheidung eingestellt. Maßgebend ist nach Auffassung des Gerichts dabei vor allem, dass mit dem VZ 254 der Radverkehr in dem betroffenen Straßenabschnitt vollständig ausgeschlossen wird. Die Beklagte kann es insoweit nicht allein bei einer Entscheidung über die Anordnung der VZ 254 belassen, sondern hat in ihrer Ermessensentscheidung auch die Folgen für den ausgeschlossenen Verkehr zu berücksichtigen.
Dies sollte die das Radverkehrsverbot weiterhin aufrecht erhalten wollende Kreisverwaltung Südwestpfalz besonders interessieren!
Die zu treffende Ermessenentscheidung erfordert insoweit eine umfassende Entscheidung hinsichtlich des Verbleibs des ausgeschlossenen Verkehrs, d. h. hier zur Verkehrsführung des in dem betroffenen Teilstück ausgeschlossenen Radverkehrs. Insbesondere ortsunkundige Radfahrer sind dabei auf eine weiterleitende Verkehrsführung angewiesen. Die zu treffende Ermessensentscheidung enthält demgemäß planerische Elemente im Hinblick auf den abgedrängten Radverkehr. Für die danach im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmende weitere Planung für den abgedrängten Verkehr bedarf es u. a. einer Einbeziehung der vorhandenen örtlichen und baulichen Gegebenheiten, einer Abstimmung mit bzw. Überprüfung von vorhandenen Radwegbenutzungspflichten, einer Einbeziehung eines ggfs. bereits vorhandenen Radwegenetzes, etc.. Soweit die Beklagte diesbezüglich auf eine Umleitung des Radverkehrs über den sog „Bachweg“ und zwar in Richtung Alsdorf über die Nebenanlage entlang der Wardener Straße und von Alsdorf kommend in Höhe Helrath über die Straße „Auf dem Felde“ unter Vorlage der Karte zur Radfahrerführung (Anlage 8 der BA III) verweist, ist dies nicht ausreichend. Denn ungeachtet des Umstands, dass es sich dabei teilweise um einen unbefestigten Weg handelt und der insoweit von dem Kläger aufgeworfenen Frage der Verhältnismäßigkeit dieser Umleitung, ist diese Umleitung tatsächlich nach dem unbestrittenen Vorbringen des Klägers und den eigenen Erkenntnissen des Gerichts gar nicht ausgewiesen worden.
Es ist ja auch zwischen Hinterweidenthal und Hauenstein der Fall, dass eine Umleitung im Sinne der StVO dort weiterhin gänzlich fehlt, dort stehen lediglich HBR-Wegweiser – die jedoch straßenverkehrsrechtlich irrelevant sind.
Lediglich ein gelbes Umleitungsschild für Radfahrer – ein sog. Vorwegweiser/VZ 442 – ist an der Nebenanlage zur Rue de Wattrelos vorhanden. Weder ist für den Radverkehr auf der Nebenanlage an der Wardener Straße in Richtung Röhe der Abzweig vor der Unterführung als Fortführung der Umleitung ausgewiesen noch deren weiterer Verlauf. Es ist auch sonst nicht erkennbar, dass dort etwa ein Radweg oder Teil eines Radwegenetzes beginnt. Für den in Höhe Helrath – an der Kreuzung „Auf dem Felde /Alsdorfer Straße“ – ausgeschlossenen Radverkehr in Richtung Eschweiler ist gar kein Hinweis auf eine Umleitung vorhanden. Eine ausreichende weiter- bzw. umleitende Verkehrsführung für den ausgeschlossenen Radverkehr ist nicht vorhanden.
Eine klare und deutliche Aussage!
Diese ist jedoch nach Auffassung des Gerichts für eine ermessensfehlerfreie Entscheidung erforderlich, wobei auch deren Umsetzung zeitgleich mit dem streitgegenständlichen Verbot zu erfolgen hat. Nicht ausreichend ist insoweit auch der Hinweis der Beklagten auf das Vorhandensein anderer Nord-Süd-Verbindung für den Radverkehr, die als weitere Alternativen zur Verfügung stünden, da auch diese für die – ausgeschlossenen – Radfahrer nicht entsprechend ausgewiesen sind.
Zur Randnummer 74:
Insgesamt lassen die bereits oben dargestellten Unklarheiten bzgl. einer Radwegbenutzungspflicht und die fehlende Verkehrsführung für den Radverkehr erkennen, dass die Beklagte die Konfliktlage zwischen den verschiedenen Verkehrsarten in den Kreuzungsbereichen/Autobahnanschlussstelle für die betroffenen Radfahrer nicht zumutbar gelöst bzw. deren Interessenlage – und damit auch die Interessen des Klägers als Radfahrer – nicht angemessen in ihrer Entscheidung berücksichtigt und auch nicht im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt bzw. ergänzt hat.
Also auch hier: Eine Gefahrenlage allein rechtfertigt nicht, einfach den Radverkehr zu verbieten. Die Behörde muss diese Interessen berücksichtigen und darf somit eine „Gefahrenlage“ nicht einseitig und ausschließlich zu Lasten des Radverkehrs durch einen Verbot desselben „lösen“. Abschließend noch Randnummer 75:
Zugunsten der Beklagten kann schließlich auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich das Ermessen auf das streitgegenständliche Verbot für Radfahrer als einzig richtige Entscheidung reduziert hat, mithin von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen ist. Eine derartige Ermessensschrumpfung auf die hier streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung folgt auch nicht aus der oben dargelegten Gefahrenlage. Diese mag zwar ein Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde nahe legen. Mit welchen Maßnahmen bzw. Verkehrsführungen sie jedoch eine Gefahrenlage bekämpft, hat sie unter Berücksichtigung der Geeignetheit, der Verhältnismäßigkeit und unter Abwägung der jeweils betroffenen Belange zu entscheiden.
Auch die Kreisverwaltung Südwestpfalz meint ja, die besondere Gefahrenlage wäre dermaßen gewaltig, dass eine Prüfung möglicher Alternativen (wie bspw. Tempo 70) überflüssig sei. Ich habe den Sachgebietsleiter daher erneut aufgefordert, das Ermessen im Hinblick auf das ergangene Urteil neu auszuüben. Sofern die Behörde weiterhin meint, ein lapidarer Einzeiler , den man mir vor ein paar Monaten förmlich vor den Latz geknallt hat, hätte vor Gericht bestand – irrt sie sich wohl gewaltig! Denn auch das, was man mir im Gespräch am 17. Oktober 2018 mitteilte schreit förmlich danach, dass sich die Behörde hier mit der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ihrer Entscheidung nicht im Geringsten befasst hat. Das wird insb. dadurch deutlich, dass jene mir trotz mehrerer Nachfragen gar keine Alternative empfehlen konnte!