Was habe ich diesen Spruch als Kind gehasst. Und ich hasse ihn heute noch. Ja, ich war ein schwieriges Kind, dass sich bei vielen Dingen ziemlich „angestellt“ hat; meine Eltern hatten es nicht leicht mit mir. 😉 Aber ich war und bin ja nicht der Einzige, der sich bei unangenehmen, ungewohnten oder fremden Sachen „anstellt“ und ziert, bis er sich dann doch irgendwann mal überwindet. Und feststellt, dass das ja dann doch nicht so schlimm war, wie man es sich vorgestellt hat. So lief das auch mit dem Fahrradfahren auf der Fahrbahn. Ich bin irgendwann erwachsen geworden und habe mich zum gleichwertigen Verkehrsteilnehmer emanzipiert.
Die große Masse hingegen verhält sich, was die Verkehrsflächenwahl betrifft, lieber weiter wie infantile Kleinkinder. Man fährt dabei auch hemmungslos auf Gehwegen rum (vorhin rauscht im Augenwinkel ein E-Biker auf einem schmalen, linken Gehweg mit mind. 25 km/h zwischen mir und den geparkten Autos vorbei) – und schreit nach separierten Radwegen, weil die vermeintlich sicherer und „angenehmer“ seien. Weil: Rad braucht Radweg! Ohne Radweg kann man bekanntermaßen ja gar nicht Radfahren – schon gar nicht außerorts.
Man macht das ja nicht nur aus Angst, sondern auch aus Demut – weil man den „echten“ Verkehr (also die Kfz) nicht behindern will. Weil man sich selbst – als auch die Gruppe der Radfahrer insgesamt – noch nie als gleichwertige Verkehrsteilnehmer gesehen hat, welche das gleiche Recht auf die Nutzung öffentlicher Straßen haben, wie jeder andere auch.
Über- und unterschätzte Risiken
Dass dieses Vertrauen in „sichere Radwege“ ein tragischer Irrglaube ist, der regelmäßig tödlich endet, wurde nun erneut, dieses Mal in Hamburg bewiesen, als ein 48-jähriger Radfahrer auf einem (besonders fragwürdig gestalteten) Radweg an einer Kreuzung von einem rechtsabbiegenden Lkw getötet wurde. Er ist nicht der Erste. Und er wird nicht der Letzte sein. Schaut man sich die Kommentare unter dem NDR-Artikel an, wird deutlich, dass die Gefährlichkeit von Radwegen immer noch maßlos unterschätzt wird, denn auch hier wird nach (noch gar nicht auf seine Zuverlässigkeit überprüftem) technischem Schnickschnack („Abbiegeassistenten“) oder „sichereren Radwegen“ gerufen. Man will also weiterhin die Symptome behandeln – und die Krankheit ignorieren. Das ist aber ganz typisch für den Menschen – denn er kann Risiken oft überhaupt nicht annähernd objektiv einschätzen. Stichwort „Fahrradhelm“.
Das ist für mich aufgrund der zunehmenden Berichterstattung über dieses Thema im gleichen Maße unverständlich – weil doch so langsam auch beim größten Radwege-Fan mal irgendwelche Zweifel aufkommen müssten? Ein Großteil der Radfahrer realisiert auch weiterhin nicht, dass die Wahrscheinlichkeit, beim Überholen von hinten gestreift oder gerammt zu werden und dabei tödlich zu verunglücken, ziemlich gering ist. Die allgemeine Radwegbenutzungspflicht wurde 1997 abgeschafft – grade weil man wissenschaftlich und statistisch nachweisen konnte, dass Radwege die Unfallgefahr nicht verringern, sondern teils drastisch erhöhen.
Mit einem guten Gefühl in den Tod
Und was macht der Durchschnittsradfahrer? Er stellt sich an! Wie ein stures, sich die Ohren zuhaltendes, laut Laaalaaalaaa-singendes, die Arme verschränkendes, eine Schnute ziehendes Kleinkind. Er will nicht auf die Fahrbahn. Niemals nie! Da gehören Autos hin, aber doch nicht Fahrräder. Sowas auch nur zu fordern, ist doch schon „hirnrissig„! Der Durchschnittsradler hat seine Angst lieben gelernt – und von einer so alten Liebe trennt man sich nur noch ungern…!?
Gefühle sind doch überhaupt unheimlich toll, oder nicht? Sie ersetzen grade in diesen Zeiten leider zunehmend das Denken und Wissen. Das gipfelt eben vor allem im Bereich Radverkehr in der ständigen Forderung nach Radwegen, weil man mit einem guten Gefühl Radfahren will.
Sorry, aber ich kann diesen Bullshit einfach nicht mehr hören! Vor „Gefühlen“ darf man nicht kapitulieren – und als jene auch noch als unabänderliches Naturgesetz akzeptieren – denn das sind sie nicht. Viele Gefühle werden gezielt geschaffen, bedient – und politisch instrumentalisiert. „Gefühle“ beruhen ja auch grade auf dem Nicht-Wissen. Oder in der schlimmeren Form: des Nicht-Wissen-Wollens! „Gefühle“ (Fremdenfeindlichkeit ist bspw. auch so ein „tolles“ Gefühl…) müsste und könnte man eigentlich relativ leicht durch Bildung oder Aufklärung auf ein Minimum reduzieren.
Selbstmord – aus Angst vor dem Tod
Mann soll sich also nicht (subjektiv) sicher fühlen, sondern (objektiv nachweisbar) sicher sein. Man soll nicht glauben, man soll wissen! Ich halte es auch für ein wenig pervers, dass diese nachweislich irrationalen Ängste auch von vielen Radverkehrsaktivisten bedient werden, bspw. durch Rufe nach „sicheren Radwegen“ oder der Verächtlichmachung des Fahrbahnfahrens. So stellt z. B. der Berliner „Volksentscheid Fahrrad“ Radverkehrsführungen auf der Fahrbahn (hier eine sogenannte „Fahrradweiche“) mit gestellten Fotos als besonders unsicher dar.
Die meisten Phobien sind jedoch: heilbar. Und es ist nichts anderes als eine (irrationale) Phobie, mit dem Fahrrad auf Teufel komm raus nicht auf der Fahrbahn fahren zu wollen! Aber man wird diese Massenpsychose lieber weiter fördern. Was halt leider noch weitere Radfahrer und -innen das Leben kosten wird. Diese „Kollateralschäden“ für die „gute Sache“ scheinen mir übrigens auch von einem Teil der Radverkehrsaktivisten- und „Verkehrswende“-Szene mit einkalkuliert zu sein.
Rosa Radwege zum Ponyhof
Das Leben ist schließlich kein Ponyhof
Noch so’n doofer Spruch – den ich inbrünstig hasse! Diese Phrase hielten viele junge Menschen, mit denen ich mich vor allem in meinen jüngeren Jahren (in Schule, Studium, Beruf) gerne über tief verankerte gesellschaftliche Missstände unterhielt, regelmäßig für eine ausreichende Antwort. Damit konnte man das eben Kritisierte einfach ignorieren (man müsste sich eingestehen, selbst Teil des Problems zu sein) – und musste nicht weiter darüber nachdenken.
Aber ja. Das Leben ist wirklich kein Ponyhof – man zuckt nämlich in allen Bereichen des tagtäglichen Lebens mit der Schulter, wenn überall (vor allem im Berufsleben, aber auch dem Straßenverkehr) nur noch Konkurrenz und der Ellenbogen regiert, weil der neoliberale Kampf eines Jeden gegen Jeden zum gesellschaftlichen Leitmotiv etabliert wurde – und Kooperation ja sowieso nur noch was für Waschlappen sei. Und da den Letzten bekanntlich die Hunde beißen, machen alle mit. Und wer da nicht mitmachen kann oder will – der hat halt Pech. Ist halt kein Ponyhof…!
Ja – aber warum fordert man denn grade als Radfahrer dann doch genau so einen rosaroten, alle Probleme aus der Welt schaffenden Ponyhof – in Form von Radwegen? Warum scheut man sich hier, genauso um seinen Platz in dieser Gesellschaft – oder eben auf der Straße – zu kämpfen, wie man es auch im Beruf oder in seinem sozialen Umfeld tagtäglich macht – und auch sonst für angebracht und notwendig hält? Weil doch angeblich „jeder seines Glückes Schmied“ sei?
Weil man dann doch realisiert, dass man mit dem Fahrrad gegen ein tonnenschweres Gefährt im Zweifel den Kürzeren zieht…!? Weil man genau dann dem Konflikt schon von vornherein aus dem Weg geht, weil man sich hier dann doch von ein wenig Blech und lautem Brummbrumm zutiefst beeindrucken und einschüchtern lässt…? Weil man seine eigenen Minderwertigkeitskomplexe nicht hinterfragen will? Warum ist man dann aber der Meinung, man wäre vor Kraftfahrzeugen grade auf dem Radweg sicher(er)…!? Blendet man tatsächlich völlig aus, dass sich im Zuge eines Radweges an jeder einzelnen Kreuzung die (vermeintliche) Ersparnis einzelner möglicher Konflikte im Längsverkehr durch generell wesentlich gefährlichere Fahrbahnquerungen deutlich ins Negative umkehrt?
Stellt euch nicht mehr so an – und werdet endlich erwachsen! Ihr akzeptiert in eurem tagtäglichen Leben so viel Unangenehmes, Nachteiliges und auch Gefährliches und tragt selbst dazu bei, anderen Leuten das Leben zu vermiesen. Auch dadurch, indem ihr nicht Stellung (auf der Fahrbahn) haltet („safety in numbers„)! Ihr schafft es, vor sehr viel Elend die Augen zu verschließen und in einem mehr als fragwürdigen Wirtschaftssystem zu „funktionieren“ – und euch darin eure Stellung zu sichern. Aber wenn es darum geht, mit einem Fahrrad auf einer Fahrbahn zu fahren, stellt ihr euch an wie kleine Kinder – und schreit danach, von den „bösen“ Autos separiert (also in Watte gepackt) zu werden. Auch wenn auf den Fahrbahnen um Welten weniger passiert als auf Radwegen.
Das Tragische ist: durch die teils panische Angstmacherei („ich würde mein Kind nicht auf der Straße zur Schule fahren lassen“) wird diese Paranoia von einer Generation an die nächste weitergegeben (noch verstärkt durch den zunehmenden Radhelm-Wahn). Viele Kinder haben also gar keine Chance, durch eigene Erfahrungen zu lernen, dass man auch ohne Radwege ganz gut überall hinkommt, wo man hin will.
Hab gerade zum gleichen Thema einen Beitrag veröffentlicht. Und musste deinen gleich verlinken.
Ich warte schon darauf dass sich „Aktivisten“ angesprochen fühlen (zu Recht) und über mich herfallen 🙂
Martin
Hallo Martin,
Danke; unsere Beiträge ergänzen sich ganz gut. Die Aktivisten werden das wohl einfach (wie immer) ignorieren. Darin sind sie ja Profis…
Wenigstens im Ignorieren sind sie Experten.
Martin
Da spielen verschiedene Aspekte mit rein, die ich da noch aufdröseln möchte:
Etliche Menschen lernen als Vorschulkind auf dem Gehweg das Radfahren, müssen und machen das dann für Jahre bis in die Pubertät hinein. Dann kommt der Wechsel auf ein Motorfahrzeug. Wenn dann Jahre später die Besinnung einsetzt, und ernsthaft das Rad benutzt wird, muss Radfahren im Verkehr nochmal neu gelernt werden. Das machen und möchten nicht alle. Es bleibt eine Gruppe, für die Radfahren gleichbedeutend mit einem Rückfall in Verhaltensmuster der Kindheit bleibt und dann gibt es noch eine Gruppe, die sich „erwachsene“ Verhaltensmuster aneignet und lernt zu bestehen.
Dazu kommt noch die Gruppe derer, die überhaupt nicht oder extrem selten Radfahren, sich das aber (gerne auch öffentlichkeitswirksam) so vorstellen und wünschen, als ob sie noch Kinder wären.
Gleichzeitig fehlt etlichen Kraftfahrern die Erfahrung mit Radfahrern: entweder selbst als Radfahrer oder in der alltäglichen Begegnung mit Radfahrern. Es ist schlicht zuwenig „Trainigsmaterial“ unterwegs, damit das ein „Standardverhalten“ wird. Umgekehrt ist das anders: Autos auszuweichen und zurück zustecken ist mit das erste angelernte, leider auch überlebenswichte, Verkehrsverhalten. Lernen ist letztendlich ein Wachstumsprozess im Gehirn und das dauert und braucht etliche Wiederholungen der immer gleichen Muster und Abläufe, bis sich eine Routine einspielt, die „automatisch“ abläuft. Erst dann ist ein Vorgang nicht mehr „Streß“, weil ungewohnt, sondern „Alltag“.
Die Versuche das mit verschiedensten Führungsformen irgendwie hinzukriegen, scheitert dann auch regelmäßig an fehlendem Training eben weil es zu viel zu viele Varianten und Abweichungen gibt. Die Fahrbahn als gundlegendes „Normal“ zu akzeptieren, ist anscheinend zu einfach und wird auch von einigen Gruppen, s.o., abgelehnt, solange der Kraftverkehr als Gefahr empfunden wird.
Statt der Forderung nach Radwegen für Benutzer von 8-88 Jahren, sollten Autos gefordert werden, die von 8-88 Jahren für die Außenwelt sicher sind.
Die Straßen wären voll mit Radfahrern und Fußgängern.