In meinem Reisebericht zum ersten Drei-Tages-Trip in die Schweiz im Jahr 2004 hatte ich das Thema Schöllenen-Schlucht kurz angesprochen, denn jene unumfahrbare Straße (die Teil der Verbindung über den Gotthard- und Furkapass ist) wurde wegen umfangreicher Bauarbeiten einfach für (berghochfahrende) Radfahrer über längere Zeit komplett gesperrt. Man hatte also nur noch die Alternative, sein Rad in den (natürlich kostenpflichtigen) Bus zu verfrachten, um ins Hochtal Urseren zu gelangen. Doch auch nach dem Abschluss der Bauarbeiten bleibt die Nutzung eines Großteils der Nationalstraße 2 in der Schöllenenschlucht für Radfahrer tabu, denn es wurde ein Verkehrsverbot verhängt.
In den Medienberichten und in einer Pressemeldung von ASTRA zur neuen Führung des „Langsamverkehrs“ wurde allerdings nirgends eindeutig erwähnt, dass die überwiegend auf den Galeriedächern verlaufende Route nun mittels Verkehrsverbot de facto benutzungspflichtig ist. Ich musste daher noch einmal beim Schweizer Bundesamt für Straßen (ASTRA) nachfragen, ob ich als Rennradfahrer denn nun die Wahl habe, die vor Wind, Regen, Schnee, Steinschlägen und Lawinen geschützte Nationalstraße 2 weiterhin benutzen zu dürfen?
Anstieg nach Andermatt
Die Antwort brauchte zwar eine Weile – aber sie war (im Vergleich zu dem, was man von deutschen Behörden regelm. geboten bekommt) sehr ausführlich. Darin heißt es unter anderem:
Strecke Göschenen – Andermatt (Nord-Süd)
- Die Gotthardstrasse durch die Schöllenen ist für den Radfahrer nicht gesperrt
Doch, ist sie; wenn auch nur teilweise.
- Die Umfahrungsstrasse, welche durch das Tunnel Steglaui führt, ist für den Langsamverkehr gesperrt. Dies ist mit dem Signal 2.05 SSV „Verbot für Fahrräder und Motorfahrräder (Art. 19 SSV) beim Kreisel Göschenen signalisiert (siehe Foto)
- Der Langsamverkehr (Radfahrer) muss ab dem Kreisel Göschenen via Gotthardstrasse und Dorf Göschenen durch die Schöllenen fahren. Dies ist mit dem Signal 4.50.1 SSV „Route für Radfahrer“ohne Zielangabe (Art. 54a) beim Kreisel Göschenen signalisiert (siehe Foto).
- Durch das Dorf Göschenen ist der Langsamverkehr ebenfalls signalisiert
- Es gibt kein Alternativweg für den Radfahrer – die Route ist für den Langsamverkehr vorgegeben und entsprechend am Boden markiert und mit Signalen signalisiert
- Der gesamte Radweg, welcher für den Langsamverkehr auf der Gotthardstrasse durch die Schöllenen führt, wird durch einen Radstreifen Nr. 6.09 SSV (Art. 74) auf der Fahrbahn klar gekennzeichnet
- Bei der Galerie „Heuegg“ führt der Langsamverkehr aus Sicherheitsgründen getrennt durch die Galerie
Korrektur: Vor der Galerie Heuegg wurde ein Streifen direkt vor der Galerie eingerichtet. Das Überholen anderer Radfahrer dürfte dort allerdings recht schwierig werden. Ich meine mich übrigens auch zu erinnern, dass die Umfahrungsstraße (Tunnel Steglaui) damals (noch) nicht für Radfahrer gesperrt war.
Verkehrsverbot ab dem Stein(d)likehr
- Ab dem Steinlikehr wird der Langsamverkehr parallel mit dem Wanderweg über die Galerie „Tanzenbein“ geführt. Dies ist ebenfalls gut am Boden markiert und mit den Signal Nr. 2.05 SSV „Verbot für Fahrräder und Motorfahrräder“ (Art. 19) und dem Signal Nr. 2.63.1 SSV „Gemeinsamer Rad- und Fussweg“ (Art. 33) gut signalisiert. Ab hier besteht ein Fahrverbot für bergwärts fahrende Radfahrer auf der Schöllenenstrasse.
- Ab dem Standort „Steinlikehr“ wurde ein 3 Meter breiter neuer Rad- und Wanderweg erstellt
Die Sache mit den 3 Metern ist leider (im wahrsten Sinne des Wortes) nur die halbe Wahrheit, denn der asphaltierte Teil des Weges ist nur 1,5 m schmal! Wie man auf so einer schmalen Piste einen langsameren, hin- und herpendelnden Radfahrer sicher überholen soll (was auf längeren Steigungsstrecken sehr häufig der Fall ist), bleibt das Geheimnis derer, die hier warum auch immer am Asphalt sparen mussten. Doch hierzu später mehr.
- Der Langsamverkehr führt ab dem „Steinlikehr“ aus Sicherheitsgründen (Verkehrssicherheit) nicht mehr auf der Gotthardstrasse sondern bis zur Teufelsbrücke parallel zum Wanderweg
- Bei der Teufelsbrücke wurde eine neue Unterführung für den Langsamverkehr gebaut. Die Richtung für den Langsamverkehr ist beim Rest. Teufelsbrücke ebenfalls mit den entsprechenden Signalisationen gekennzeichnet
- Nach der Teufelsbrücke führt der Langsamverkehr (Radfahrer) wieder auf der Gotthardstrasse bis zum Kreisel Andermatt
- Beim Erweiterungsprojekt auf der Gotthardstrasse in der Schöllenen wurden zwei Unterführungen für den Langsamverkehr und den Wanderer gebaut. Somit muss Wanderer zwischen Göschenen und Andermatt keine Strasse mehr überqueren
Die Links stammen natürlich von mir. Im Grunde fände ich diesen Weg für Radtouristen und Gelegenheitsradler prima – wenn man auf das Verkehrsverbot verzichtet hätte. Immerhin: Bergab bleibt einem sogar gar keine Wahl, denn da muss man weiterhin die Nationalstraße 2 benutzen:
Abfahrt nach Göschenen
Strecke Andermatt – Göschenen (Nord – Süd)
- Der Langsamverkehr von Andermatt – Göschenen führt vom Kreisel Andermatt bis Kreisel Göschenen auf der Gotthardstrasse
- Aus Sicherheitsgründen führt der talwärts fahrende Langsamverkehr nicht über den Radweg/Wanderweg
- Der gemeinsame Rad- und Fussweg gilt nur für die bergwärts fahrenden Radfahrer (Rennrad/Bike)
- Der gemeinsame Rad- und Fussweg ist ab der Teufelsbrücke mit einem entsprechenen Signal 2.01 SSV „Allgemeines Fahrverbot (Art. 18) bei der Teufelsbrücke signalisiert
Warum man hier sogar auf ein Benutzungsrecht des Weges verzichtet haben könnte, sollte sich vielleicht auch mal die Kreisverwaltung Kaiserslautern fragen, die sich auch weiterhin unheimlich querstellt, was die Aufhebung der Benutzungspflicht dieses gemeingefährlichen Blödsinns betrifft.
Warum nur 1,5 m Asphalt?
Auf meine Frage, warum der Weg nur extrem schmal trassiert wurde, antwortete man mir folgendermaßen:
- Für die Fussgänger/Wanderer und dem Langsamverkehr wurde eine 3 Meter Breite „Fläche“ neu gebaut.
- Der Untergrund (Belag etc.) wurde für Radfahrer und Wanderer unterschiedlich gestaltet und den entsprechenden Bedürfnissen angepasst (Rennrad/Bike/Wanderer).
- Ein Überholen auf der 3 Meter breiten Trasse ist somit gut möglich
Nein, das ist es eben nicht! Höchstens dann, wenn man ein Mountainbike nutzt. Mit einem Renn- oder Tourenrad wird das eine ziemlich enge Kiste! Vor allem dann, wenn man vielleicht auch mit einem Liegerad oder Trike unterwegs sein sollte bzw. an einem Radfahrer vorbeimöchte, der auch noch sehr breite Gepäcktaschen am Rad befestigt hat. Meiner Ansicht nach macht allein die geringe befestigte Breite des Weges das Verkehrsverbot rechtswidrig. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie es um die Rechtsprechung zum Thema Verkehrsverbote und Radwegbenutzungspflichten in der Schweiz bestellt ist. Außerdem wird grade Wind und Wetter auch dafür sorgen, dass der Asphaltteil des Weges ständig vom Sand und Schotter am Wegesrand verdreckt werden wird, was eine regelmäßige Reinigung erforderlich macht.
Steinschlaggefährdetes Gebiet?
Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist für mich, dass Radfahrern hier auch gezielt durch ein steinschlaggefährdetes Gebiet geführt werden. ASTRA hierzu:
- Bei den Galerien in der Schöllenen handelt es sich um Lawinengalerien und nicht um Steinschlagschutzgalerien. Im Winter ist der separate Langsamverkehrsweg auf den Galerien gesperrt. Die wenigen Radfahrer müssen in dieser Jahreszeit auf der Strasse fahren (Fahrverbot im Winter aufgehogen).
- Mit dem neu erstellten Trasse wurde die Sicherheit für den Langsamverkehr und die Wanderer enorm verbessert
- Für die Sicherheit des neu erstellten Rad- und Wanderwegs und zum Schutz vor Steinschlägen wurden an diversen gefährdeten Steinschlaggebieten, Bauten (Netze/(Dämme etc.) neu erstellt
- Durch diese Massnahmen (Unterführungen/Schutzbauten etc.) wurde die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer inkl. Wanderer enorm verbessert
Nun bin ich kein eidgenössischer Fachmann, was den Unterschied zwischen Steinschlaggefahr und Lawinengefahr betrifft (Letztere droht aber wohl vermutlich eher nur im Winter…?) 😉 – aber wie die Fotos im oben verlinkten Artikel der Luzerner Zeitung zeigen, wird hier sehr wohl – und sogar relativ eindringlich – vor Steinschlägen gewarnt; man solle z. B. auch deshalb nicht stehenbleiben.
Immerhin wird – da sollten alle Beteiligten in Sachen Winterdienst auf den B-10-Radwegen sich mal ihre Gedanken drüber machen – im Winter das Verkehrsverbot aufgehoben!
Geisterradler?
Meiner Ansicht nach lockt so ein Weg abseits der „gefährlichen Straße“ natürlich Geisterradler an wie Motten das Licht einer Straßenlaterne. In Verbindung mit der geringen befestigten Wegbreite sind hier meiner Ansicht nach schwere Unfälle förmlich vorprogrammiert. ASTRA hierzu:
Die Kontrolle, ob/dass sich die Radfahrer an die Verbote halten, ist Sache der Polizei. Die entsprechenden Gesetzesartikel regeln dies klar.
Das mag so sein. Das hindert leider viele Radfahrer nicht daran, tagtäglich Radwege in der falschen Richtung zu befahren. Und vor allem dieser Weg wird meiner Ansicht nach sehr gut von Geisterradlern frequentiert werden. Übrigens wurde dort ja (wenn ich mich nicht irre) keine Einbahnregelung eingerichtet. Was ist z. B. mit denen, die auf dem längeren, von der Straße getrennten Abschnitt die Kräfte verlassen. Und die dann umkehren müssen?
Widerstand?
Schade; das Verkehrsverbot entwertet das Ganze wieder völlig. Ich weiß aber leider nicht, wie sehr sich die Radfahrer und deren Interessenvertretungen in der Schweiz gegen derartige Verbote wehren? Ich hatte anlässlich des Artikels im velojournal die Organisation „Pro Velo“ gefragt, welchen Standpunkt man hierzu vertrete?
Ich habe zwar vor Jahren einmal Pläne gesehen (die Baudirektion hat den VCS damals informiert) und lese nun nach der Eröffnung positive Stimmen in der Lokalpresse. Bestimmt kann man davon ausgehen, dass die Verkehrssicherheit nun besser ist als früher. Und bestimmt ist es auch sehr viel angenehmer, auf einem separaten Weg sich hoch zu kämpfen (an zwei Stellen gibt es auch Unterführungen unter der Strasse hindurch) als auf der engen Strasse neben den vielen Autos und durch stinkende und röhrende Gallerien. Wir haben aber auch schon damals kritisiert, dass die VelofahrerInnen und FussgängerInnen nicht gegen Steinschlag geschützt sind. Dass Velos abwärts die Strasse statt den Veloweg benützen, liegt in der Verantwortung der VelofahrerInnen. Ich hoffe, dass das genügend klar signalisiert ist.
Insgesamt mache ich mir keine Illusionen: Der Veloweg wurde gebaut, weil man die Velos von der Strasse weg haben wollte. Auf der kurvenreichen Strasse konnten die Velos nicht leicht überholt werden, es bildeten sich schnell Schlangen. Trotzdem finde ich die Trennung aus Sicht der Velofahrenden besser als die alte Situation.
Wie gesagt – auch ich habe mit dem Vorhandensein der nun vorliegenden Alternative kein wirkliches Problem. Man sollte es aber letzten Endes dem Radfahrer überlassen, ob er bei Wind und Wetter einen mitten durch ein stark steinschlaggefährdetes Gebiet führenden, nur anderthalbmeter schmalen Asphalt-Streifen – oder (wie bisher) die N2 benutzen möchte. Es werden eh nur eine handvoll Rennradfahrer sein…
Wäre ich Schweizer und müsste die Strecke öfters befahren, würde ich mich genau aus diesen Gründen rechtlich gegen das Verkehrsverbot wehren!