Im Rahmen meines Engagements für Winterdienste an für Radfahrer gesperrten Bundesstraßen hatte ich mich im Sommer an die Bundestagsfraktion von Die Linke, im Speziellen den Abgeordneten Andreas Wagner gewandt. Dankenswerterweise war das Thema mehreren Abgeordneten eine Kleine Anfrage wert, die als Drucksache 19/13524 an die Bundesregierung ging. Der Pressedienst des Bundestages hatte hierzu auch am 7. Oktober eine Pressemeldung verfasst. Die Linksfraktion berichtet ebenfalls auf ihrer Webpräsenz. Das Büro des Abgeordneten Wagner hat mir heute die Antwort des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zugesandt.
Die Antwort wurde bislang noch nicht im Internetangebot des Bundestages veröffentlicht, ich werde später noch einen Link setzen. Diese Antwort enthält insbesondere was das Thema Widmung der vermeintlichen „Wirtschaftswege“ betrifft, einige interessante Aussagen.
Frage 1: Werden die „Grundsätze für Bau und Sanierung von Radwegen im Zuge von Bundesstraßen in der Baulast des Bundes 2008“ (kurz „Grundsätze 2008“), die das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) am 17. Oktober 2008 (Az. S 11/7123.10/6-1-891608) an die Obersten Straßenbaubehörden der Länder adressiert hatte, noch angewendet?
Frage 2: Kontrolliert der Bund, ob die mit der Verwaltung der Bundesfernstraßen beauftragten Landesbehörden die „Grundsätze 2008“ als auch das Bundesfernstraßengesetz (FStrG) und die jeweiligen Bestimmungen in den Landes-Straßengesetzen einhalten? Wenn nein, warum nicht?
Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Antwort: Die „Grundsätze für Bau und Sanierung von Radwegen im Zuge von Bundesstraßen in der Baulast des Bundes 2008“ werden durch die Länder angewendet. Diese unterliegen der Fach- und Rechtsaufsicht des Bundes.
In der mir grade erst gestern übermittelten Stellungnahme des rheinland-pfälzischen Verkehrsministeriums heißt es allerdings, dass die Entscheidung, auch zukünftig auf den Wegen entlang der B 10 keine Winterdienste zu leisten, in Abstimmung mit dem Bundesverkehrsministerium erfolgt sei? Offensichtlich ist die Fach- und Rechtsaufsicht in dieser Hinsicht mangelhaft bzw. widersprüchlich?
Frage 3: Wie beurteilt die Bundesregierung die Stellungnahme der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zum „Bau und Finanzierung von Radwegen an Bundesstraßen“ (WD 5 – 3000 048/17) vom 8. Juni 2017?
Antwort: Die Bundesregierung nimmt zu gutachterlichen Stellungnahmen Dritter keine Bewertung vor.
Nun denn. Ich halte die Stellungnahme des WD für rechtlich äußerst fundiert.
Frage 4: Besteht nach Ansicht der Bundesregierung auf Seiten der Länder eine Pflicht, auf allen Arten von Straßen und Wegen (also vor allem Gemeindestraßen, sonstige Straßen und „Wirtschaftswege“), auf die der Radverkehr im Zuge von Kraftfahrstraßen und mit Zeichen 254 StVO gesperrten Bundesstraßen verwiesen wird, gemäß § 5 FStrG die gleichen Verkehrssicherungspflichten – insbesondere beim Winterdienst und bei der Pflege der Bankette – zu leisten (bitte begründen)?
Antwort: Der Umfang der Straßenbaulast und der Verkehrssicherungspflicht richtet sich nach den Landesstraßengesetzen.
Bedauerlich, dass das BMVI hier dem Kern der Frage ausweicht und lediglich auf die Landesstraßengesetze verweist.
Frage 5: Besteht nach Ansicht der Bundesregierung bei einem dauerhaft durch die Straßenverkehrsbehörden (insbesondere per Zeichen 254 StVO) angeordneten Verkehrsverbot die zwingende Notwendigkeit einer vorher erfolgten straßenrechtlichen Teileinziehung der Bundesstraße (bitte begründen)?
Antwort: Die Entscheidung über die Erforderlichkeit einer straßenrechtlichen Teileinziehung trifft die zuständige Behörde. Diese ist im Regelfall notwendig, wenn bestimmte Verkehrsarten, wie beispielsweise der Radverkehr, auf Dauer vollständig oder weitestgehend von dem durch die Widmung der Verkehrsfläche festgelegten verkehrsüblichen Gemeingebrauch ausgeschlossen werden sollen.
Aha! Demnach erfolgte die Aussperrung der Verkehrsart (wichtige Klarstellung!) Radverkehr auf der B 10 (wo nachweislich nie eine Teileinziehung erfolgte) mittels darüber hinaus willkürlich begründeter im Jahre 1994 auch nach Ansicht des BMVI rechtswidrig. Eigentlich zitiert das BMVI hier im Wesentlichen die Verwaltungsvorschrift zu § 45 StVO, Rn. 45a.
Frage 6: Wie viele Kilometer beträgt die Länge des Bundesstraßennetzes, und wie viele Kilometer davon sind aktuell per Zeichen 254 StVO (Verbot für Radverkehr) gesperrt oder als Kraftfahrstraßen (Zeichen 331.1 und 331.2 StVO) ausgewiesen?
Antwort: Am 1. Januar 2019 gab es in Deutschland 37.879 km Bundesstraßen. Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, ob und auf welcher Länge die Straßenverkehrsbehörden der Länder Verkehrsverbote auf Bundesstraßen angeordnet und Bundesstraßen als Kraftfahrstraßen ausgewiesenen haben.
Das hätte mich ehrlich gesagt auch gewundert, wenn man hierüber Buch führen würde.
Frage 7: Auf wie vielen Kilometern der für den Radverkehr gesperrten Bundesstraßen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung eine alternative und durch StVO-Umleitungsbeschilderung ausgewiesene Führung des Radverkehrs über asphaltierte „Ersatzstraßen / -Ersatzwege“ im Sinne des § 7 (2a) FStrG?
Antwort: Hierzu liegen der Bundesregierung keine eigenen Informationen vor.
Schade. Da sollte die Bundesregierung vielleicht mal nachforschen lassen, oder?
Frage 8: Auf wie vielen Kilometern der für den Radverkehr gesperrten Bundesstraßen wird der Radverkehr auf „Wirtschaftswege“/sonstige Straßen/Gemeindestraßen oder einigermaßen parallel verlaufende Landes- und Kreisstraßen verwiesen?
Antwort: Hierzu liegen der Bundesregierung keine eigenen Informationen vor.
Auch hierzu wäre eine Statistik doch mal sehr interessant.
Frage 9: Sind diese Wege auch ausdrücklich als unselbstständige Radwege im Zuge eines Bundesverkehrswegs straßenrechtlich, auch unter Verweis auf die §§ 1 bis 5 FStrG, entsprechend dem öffentlichen Verkehr zu widmen bzw. bestehende Widmungen zu erweitern (bitte begründen)?
Antwort: Ersatzstraßen oder -wege im Sinne von § 7 Absatz 2a des Bundesfemstraßengesetzes müssen geeignet sein, das Verkehrsbedürfnis zu befriedigen‚ für das die Bundesstraße nicht zur Verfügung steht. Die Benutzung der Straße oder des Weges durch den Radverkehr muss von der Widmung erfasst sein. Die Widmung dieser Straßen und Wege bestimmt sich nach den Landesstraßengesetzen.
Bingo! Erst einmal stellt das Bundesverkehrsministerium hier fest, dass alle Wege, auf die der Radverkehr verwiesen wird, Ersatzstraßen oder -wege im Sinne des § 7 (2a) FStrG sind – und somit rechtlich im Zusammenhang mit der Bundesstraße stehen! Und diese Wege sind zwingend dem (der Bundesstraße entzogenen) Radverkehr zu widmen. Und das Verkehrsbedürfnis der Radfahrer auf diesen Wegen ist (auch im Winter) entsprechend zu befriedigen.
Frage 10: Sieht der Bund aufgrund der oft unklaren und teils zersplitterten Eigentumsverhältnisse vor allem an (je nach Landesstraßengesetz (LStrG) nicht einmal dem öffentlichen Verkehr zu widmenden) „Wirtschaftswegen“, auf die der Radverkehr sehr oft verwiesen wird, eine grundsätzliche Notwendigkeit, diese Wege auch in Bundeseigentum zu überführen, notfalls auch per Enteignungsverfahren (bitte begründen)?
Antwort: Aus Sicht der Bundesregierung kommt es maßgeblich darauf an, dass dem Radverkehr eine sichere Verkehrsführung abseits der Bundesstraße zur Verfügung steht. Eine sichere Führung des Radverkehrs ist unabhängig von der Eigentumslage an den Straßen und Wegen. Der Radverkehr muss Bestandteil der von der Widmung der Straße oder des Weges erfassten Benutzungsarten sein. Die Widmung gegebenenfalls einzubeziehender Straßen und Wege bestimmt sich nach Landesrecht.
Klar, sonst hätte der Bund ja die Baulast direkt an der Backe – und es gäbe diese ganzen Probleme erst gar nicht oder nur in abgeschwächter Form. Festzuhalten bleibt: eine sichere Verkehrsführung abseits der Bundesstraße muss zur Verfügung stehen! Diese Wege müssen zwingend für den Radverkehr gewidmet werden. Das gilt entsprechend auch für Gemeindestraßen wie bspw. in Hinterweidenthal und Hauenstein, in denen nur ein eingeschränkter Winterdienst geleistet wird. Diese Wege dürfen auf jeden Fall NIEMALS nicht-öffentliche Straßen – also „Wirtschaftswege“ im Sinne des § 1 (5) LStrG – bleiben.
Frage 11: Wie können nach Ansicht der Bundesregierung Radfahrende ihre Rechte wahrnehmen, wenn sich eine Vielzahl von Beteiligten (Landesstraßenbaubehörden, Kreis, Stadt, Verbandsgemeinde, Gemeinde, öffentliche und nichtöffentliche Eigentümer) nicht auf eine in den „Grundsätzen 2008“ genannte Vereinbarung insbesondere zur Durchführung und Finanzierung von Winterdiensten einigen?
Antwort: Die Winterdienstaufgaben des Straßenbaulastträgers bzw. des Wegeverantwortlichen kann von der gesetzlichen Straßenaufsicht gewährleistet, nicht aber von den Straßenbenutzern durchgesetzt werden.
Auch hier wichtig: Es gibt Winterdienstaufgaben! Aber was machen eben benachteiligte Straßenbenutzer, wenn die Straßenaufsichtsbehörde keine Lust hat? Wir haben doch nämlich hier genau wieder das Problem, dass der § 51 LStrG gar keine Anwendung findet, weil sämtliche Behörden sich weigern, diese Wege überhaupt dem öffentlichen Verkehr zu widmen – und auf dem abstrusen Standpunkt beharren, es handele sich hier auch weiterhin um nicht dem öffentlichen Verkehr dienende „Wirtschaftswege“.
In diesem Falle muss das BMVI als Fach- und Rechtsaufsicht über die Landesbehörden eben das rheinland-pfälzische Verkehrsministerium, den LBM Kaiserslautern und die entsprechenden Wegeigentümer entlang der B 10 anweisen, hierfür ENDLICH eine Lösung zu finden.
Ansonsten wäre wohl für den benachteiligten Verkehrsteilnehmer der erste Ansatzpunkt für eine eigene Klage, den Wegeigentümer eben zu einer solchen Widmung zu zwingen.
Ich frage mich auf jeden Fall, wie die Ergebnisse dieser kleinen Anfrage mit der Behauptung des rheinland-pfälzischen Ministeriums (wonach das BMVI dessen Ansicht teile) zusammenpassen sollen…!? Hat da evtl. jemand geflunkert…? Das wäre doch mal sowas von einen formellen Antrag auf Akteneinsicht wert!
Danksagung
An dieser Stelle von mir noch ein herzliches Dankeschön an den Abgeordneten Andreas Wagner, seine wissenschaftlichen Mitarbeiter und die Bundestagsfraktion Die Linke, die mir in dieser Angelegenheit durch ihre Kleine Anfrage ein paar zusätzliche und wertvolle Argumente verschafft hat.
Das war nach dem Stinkefinger aus Mainz gestern auf jeden Fall bitter nötig! 😉