Kürzlich wurde von mir im Zusammenhang zum Begriff „seitliche Sicherheitsräume“ auf den Neusprech aus George Orwells Meisterwerk „1984“ verwiesen. Nicht ganz weit davon entfernt ist die alltägliche Falschverwendung des Begriffs „Radweg“. Ein „Radweg“ im Sinne der StVO ist eindeutig definiert – und kommt relativ selten vor (vor allem hier in der Pfalz). Wenn man sich aber so umhört und -liest, dann könnte man den Eindruck haben, dass es im öffentlichen Verkehrsraum fast nix anderes als „Radwege“ mehr gäbe. Doch es sind nicht nur Medien, Behörden und Privatpersonen, die mittels ständiger Wiederholung dieser „sprachlichen Unschärfe“ Verwirrung stiften. Nein, vor allem die Polizei scheitert ständig daran, Gehwege von „Radwegen“ zu unterscheiden.
Exklusiver Straßenteil
Ein „Radweg“ ist entweder ein mit oder
beschilderter, ausdrücklich und exklusiv für den Radverkehr vorgesehener Straßenteil, auf dem andere Verkehrsteilnehmer nix verloren haben. Es gibt dann noch jene „anderen“ Radwege ohne Benutzungspflicht, die man anhand baulicher Unterscheidungsmerkmale erkennen kann / soll. Die „Radschnellwege“ kann man da auch noch hinzuzählen.
Halbe Wahrheiten
Und das war es dann eigentlich auch schon mit (reinen) „Radwegen“. Das ganze Elend in Sachen Begriffsverwirrung fängt bereits mit dem folgenden, meines Erachtens die Grundprinzipien der StVO – vor allem die Fahrbahnbenutzungspflicht für Fahrzeuge – sprengenden Verkehrszeichen an: . Das ist kein „Radweg“. Nein, das ist bestenfalls (wie das Schild ja schon andeutet) die halbe Wahrheit; denn das ist ein „Gemeinsamer Geh- und Radweg“. Das heißt, Radfahrer müssen hier (allem Neusprech zum Trotze) den Gehweg(!) gemeinsam mit Fußgängern benutzen und auf jene besondere Rücksicht nehmen.
Auch die neumodischen Piktogrammlösungen machen meiner Ansicht nach aus einer Verkehrsfläche oder einem Straßtenteil keinen Radweg. Auch keinen „Gemeinsamen Geh- und Radweg“ ohne Benutzungspflicht.
Auch alleinstehende können aus vielerlei Gründen einen Weg oder eine Verkehrsfläche nicht unbedingt zu einem (vermeintlich auch noch exklusiven) „Radweg“ machen.
Unwahrheiten
Das gilt auch für
– das sind Gehwege, auf denen Schrittgeschwindigkeit fahrende Radfahrer geduldet sind. Aber keine Radwege.
Schutzstreifen sind natürlich auch keine „Radwege“. Genauso wenig wie man meiner Ansicht nach Seitenstreifen (wie es im Saarland oft getan wird) nicht mittels blauer Schilder zu „Geh- und Radwegen“ umdefinieren kann.
Straßen und eigenständige Wege
Mit irgendwelchen Wegweisern beschilderte Wege werden dadurch auch nicht zu „Radwegen“. Vor allem nicht, wenn sie mit (ohne Freigabe des Radverkehrs) beschildert sind. Was hier in der Pfalz ja immer noch die Regel ist. Auch ein grüner Pfeil auf weißem Grund (wie in Wallhalben, siehe das Beitragsbild) macht aus einem
keinen Radweg.
Selbst wenn ein Weg mit
beschildert ist, wird da definitionsgemäß nicht automatisch ein „Radweg“ draus. Denn es sind auch hier andere Verkehrsarten (Reiter, Viehtreiber, Handfahrzeuge, Fußgänger) zugelassen. Oft durch weitere Zusatzeichen auch Anlieger und land- und forstwirtschaftlicher Verkehr. Ein so beschilderter Weg kann (zu meinem Leidwesen in Sachen B 10) auch ein nicht öffentlicher „Wirtschaftsweg“ sein (den man auf eigene Gefahr befährt). Auch wenn im (mir leider nicht näher bekannten) Urteil 5 S 51/83 des VGH Mannheim vom 19. April 1983 festgestellt worden sein soll, dass ein
eine „widmungsgleiche Wirkung“ haben und einen Vertrauensschutz inkl. Verkehrssicherungspflichten begründen könne. Weshalb Behörden derartige Wege eher mit
beschildern sollten – was jene aber auch nicht zu „Radwegen“ macht.
Im Idealfall sind derartige Wege eigenständige Straßen / Radwege im Sinne Straßenrechts, die ausdrücklich dem Radverkehr gewidmet sind. Aber auch das macht sie begrifflich bestenfalls teilweise zu Radwegen (z. B. „Gemeinsamer Geh-, Rad- und Wirtschaftsweg“). Die Details regeln die Landesgesetze; in Rheinland-Pfalz gibt es gemäß LStrG drei Kategorien von „Geh- und Radwegen“:
- § 1 (3) Nr. 1: Geh- und Radwege (als Straßenteil einer öffentlichen Straße),
- § 1 (3) Nr. 2: Geh- und Radwege mit eigenem Straßenkörper, die im Zusammenhang mit einer öffentlichen Straße im Wesentlichen mit ihr gleichlaufen (z. B. an der L 363 bei Horbach),
- § 3 Nr. 3 b) aa): selbständige Geh- und Radwege.
Natürlich sind z. B. auch bei Gemeindestraßen Widmungsbeschränkungen möglich; also bspw. nur Anlieger- und Radverkehr.
In aller Regel ist es so, dass man sich als Radfahrer die Straßen / Wege also immer mindestens mit Fußgängern oder auch Anliegern sowie land- und forstwirtschaftlichem Verkehr teilen muss. Auch hier ist der Begriff „Radweg“ nur ein Teil der Wahrheit. Eine Kreis-, Landes- oder Bundesstraße würde jedenfalls ja auch niemand als Radweg bezeichnen, nur, weil man dort mit dem Rad fahren darf.
Etikettenschwindel beim Tourismus
Verbandsgemeinden, Kreise, Städte und Touristikverbände werben bekanntlich hemmungslos genau mit diesem ominösen „Radwege-Netz“. Dabei gibt es in aller Regel ja überhaupt kein Solches. Mehr, als ein paar Wegweiser an vorhandene Feld- und Waldwege zu stellen, wird da meist nicht getan; das meiste Geld geht dann wohl für die Vermarktung (und die teuren, aber nicht sonderlich kompetenten Planungsbüros) drauf.
Die Radtouristen werden dann in aller Regel auf Wirtschaftswege geleitet, die – wenn man das Landes-Straßengesetz und insb. den § 1 (5) ernst nehmen würde – ja eigentlich auch als selbständige Geh- und Radwege gewidmet werden müssten, auf denen der sonstige Verkehr nur Gast wäre. Stattdessen heißt es, dass man nur auf „Forstwirtschaftswegen“ – und somit auf „eigene Gefahr“ radele, wie z. B. auch auf dem „Rückenwind-Radweg“ zwischen Pirmasens und Bitche.
Ich fände es unheimlich lustig, wenn irgendwann mal eine Gemeinde oder ein Touristikverband damit anfangen würde, die „Konkurrenz“ wegen Wettbewerbsverstößen kostenpflichtig abzumahnen, weil sie mit Radwegen wirbt, die gar keine sind. Wobei: Da hier wohl wirklich alle bescheißen, wird auch keiner den ersten Stein werfen bzw. der anderen Krähe kein Auge aushacken.
Aber so ist das halt im Tourismus: Das im Reisekatalog supertoll präsentierte Hotel mit „Blick aufs Meer“ entpuppt sich dann vor Ort als Bruchbude neben einer Hauptverkehrsstraße – und vom Meer sieht man bestenfalls ein Fitzelchen…
Polizei-Pressemeldungen
Seitdem ich begonnen habe, die regionalen Polizeiberichte zu Unfällen mit Radfahrerbeteiligung zu sammeln und zu analysieren, fällt mir ständig auf, dass die Polizei in vielen Fällen nicht in der Lage ist, Straßenteile oder Wege korrekt zu bezeichnen. Hierzu eine kleine, unvollständige Übersicht:
- Die PI Neustadt scheiterte vor einiger Zeit daran, einen
von einem Radweg zu unterscheiden, als sich zwei Radfahrerinnen in einer schmalen Unterführung „duellierten„. Natürlich stiftete die Bemalung des Asphalts zusätzliche Verwirrung.
- Das gleiche Problem hatte das Polizeipräsidium Westpfalz angesichts eines Zusammenstoßes eines Geister-Gehwegradlers mit einem anderen, auf einem
unterwegs seienden Radler in Kaiserslautern im Oktober 2018. Den Geisterradler machte man sogar noch zum Opfer.
- Selbst nach dem zweiten tödlichen Unfall im beschaulichen pfälzischen Steinfeld innerhalb nur weniger Monate erkannte die PI Bad Bergzabern nicht, dass es sich dort um keinen (Geh- und) Radweg mehr handelt.
- Auch die Pirmasenser Polizei machte kürzlich aus einem eindeutigen Hochbord-Gehweg innerorts einfach einen Radweg; vermutlich, weil eine Mutter und ihr (dafür zu altes) Kind darauf fuhren.
- Selbst bei einer gezielten Kontrolle des Baustellen-Ausweichverkehrs bei Saalstadt fiel den Beamten nicht auf, dass die weiß-grün ausgeschilderten Routen auf Wirtschaftswegen keine Radwege sind – und auch keine
aufheben.
- Die PI Dahn war im Januar anlässlich des schweren Glätteunfalls zumindest in der Pressemeldung der Ansicht, dass es sich bei dem mit
beschilderten „Wirtschaftsweg“ zwischen Wilgartswiesen und Rinnthal um einen Radweg handele. Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen Verkehrssicherungspflichten wollte sie dann doch keine einleiten. Auch nicht die Staatsanwaltschaft. Ist ja nur ein Wirtschaftsweg!?
- Nein, nicht jedes graue Band neben einer Landstraße ist automatisch ein Radweg. Diesen Tipp musste ich der PI Bad Dürkheim im Februar wegen eines Unfalls auf einem Gehweg in Freinsheim geben.
- Dass ein Schutzstreifen kein Radweg ist, ist der PI Landau scheinbar unbekannt, wie ein Bericht über einen Alleinunfall in Landau vermuten lässt.
Und ich könnte noch viele weitere Beispiele heraussuchen.
Jedenfalls wundert es mich nicht, dass der Begriff „Radweg“ heute stets Alles – und gleichzeitig Nichts bedeuten kann. „Radwege“ (ich setze diesen Begriff in meinen Beiträgen inzwischen auch ganz bewusst fast immer in Anführungszeichen) sind es vor allem aus der Perspektive von gewohnheitsmäßigen Autofahrern (die auch Polizeipresseberichte schreiben) immer dann, wenn sie froh sind, dass die Leute auf allem herumradeln, was nicht die Fahrbahn ist. Hauptsache, sie halten „den Verkehr“ nicht auf.
Wie mein Engagement in Sachen Winterdienste entlang der B 10 zeigt: Wenn es ernst wird und um die Sicherheit und die Gleichberechtigung des Radverkehrs geht, ist von „Radwegen“ plötzlich keine Rede mehr. Dann sind es doch nur „Wirtschaftswege„, auf denen Radfahrer bestenfalls geduldet sind. Und auf denen sie sich gefälligst auf „eigene Gefahr“ die Gräten brechen sollen.