Wie im Beitrag zum langjährigen juristischen Kampf eines Landwirtes gegen die Verdrängung des „Langsamverkehrs“ von der „autobahnähnlich“ ausgebauten B 50 bei Simmern im Hunsrück angesprochen, steht auch das Planfeststellungsverfahren zum vierspurigen Ausbau eines weiteren Abschnitts der Hunsrückhöhenstraße bei Hochscheid zu einer sinnbildlich für die Verkraftfahrstraßierung vor allem des Bundesstraßennetzes. Denn die schwächer oder gar nicht motorisierten Nutzer einer bisher uneingeschränkt dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Bundesstraße sollen zukünftig überwiegend auf sogenannte „Verbindungswege“ in der Baulast der Gemeinden verdrängt werden.
Gemäß des Wikipedia-Artikels zur B 50 war ursprünglich vorgesehen, die B 50 zwischen Longkamp und dem Hahn auf einer völlig neuen, 10 km langen Trasse (nördlich von Wederath und Oberkleinich) zu bauen. Dies wäre für die „Langsamverkehre“ die zweifelsfrei bessere Lösung gewesen, denn jene hätten die (dann auch wesentlich weniger Verkehr verkraften müssende) B 327 weiter nutzen können. Dass vom planenden LBM insbesondere die Interessen des Radverkehrs auch im Hunsrück in keinster Weise berücksichtigt werden, verdeutlicht auch die Tatsache, dass die Begriffe „Fahrrad“ oder „Radverkehr“ im 108 Seiten umfassenden Erläuterungsbericht (pdf, 2,15 MB) und im Regelungsverzeichnis (pdf, 411 KB) nur ein einziges Mal vorkommen.
„Langsamverkehr“
Der Radverkehr wird ganz allgemein dem „langsam fahrenden“ Verkehr zugeordnet. In Abschnitt 1.1 zur planerischen Beschreibung ist sich der LBM der Tragweite des Ausbaus der B 50 zur Kraftfahrstraße auch durchaus bewusst:
Der vorliegende Abschnitt bildet den Mittelteil und ist der östlichste im Lk WIL. Aufgrund der absehbaren Beschränkung für den Gemeingebrauch wird für den langsam fahrenden Verkehr bei fehlenden zumutbaren Alternativstrecken die bestehende Hunsrückhöhenstraße auf die Anforderungen für diese Verkehrsarten hin zurück gebaut und bleibt erhalten. Damit wird für die B 50 ein vollständiger Neubau erforderlich.
Das Wort Teileinziehung taucht im Erläuterungsbericht übrigens nicht auf. Man hält es wohl auch hier gar nicht erst für nötig, den Ausschluss mehrerer Verkehrsarten von einer bislang uneingeschränkt dem Gemeingebrauch dienenden Bundesstraße bereits im Rahmen des Beteiligungsverfahrens zur Planfeststellung zu thematisieren. Das will man wohl erst hinterher tun – wenn sich irgendwer dagegen beschwert.
Nun könnte man ja meinen, dass bei einem Ausschluss dieser „langsam fahrenden“ Verkehre für jene doch wenigstens eine klassifizierte Straße (also mindestens eine Kreisstraße) als Alternative eingeplant werden müsste. Dem soll allerdings nicht so sein:
Mit Verkehrsfreigabe des vorliegenden Abschnittes wird die Neubaustrecke zur B 50 gewidmet. Die verlassene Strecke B 50/B 327 wird zurück gebaut und entsprechend ihrer künftigen verkehrlichen Bedeutung für den langsam fahrenden und landwirtschaftlichen Verkehr als Verbindungsweg gemäß DWA-Regelwerk, Arbeitsblatt A 904-1, Richtlinie für die Anlage und Dimensionierung ländlicher Wege, August 2016, (im Folgenden „RLW“) gewidmet.
In den Abschnitten 3.2 zur Variantenwahl lässt der LBM durchblicken, dass ursprünglich gar keine Alternative für den „Langsamverkehr“ vorgesehen war und die alte Trasse der Hunsrückhöhenstraße Teil der neuen B 50 hätte werden sollen. Puh; es hätte also wohl noch schlimmer kommen können…! Das genannte „DWA-Regelwerk“ ist übrigens natürlich nicht frei einsehbar, sondern kostet schlappe 80 Euro.
Festzuhalten bleibt: Die (rechtliche) Situation für die verdrängten Verkehre verschlechtert sich auch deshalb wesentlich, weil die neue B 50 nicht wie ursprünglich geplant ein paar km weiter nördlich auf einer komplett neuen Trasse, sondern weil sie direkt neben der bisherigen Bundesstraße gebaut wird. Und jene somit ersetzt. Im ersten Fall wäre die „alte“ Hunsrückhöhenstraße B 327 evtl. gar nicht – oder höchstens zur Landesstraße herabgestuft worden.
Verkehrssicherheit
Im Abschnitt 4.1.3 zur „Gewährleistung der Verkehrssicherheit“ wird auch klargestellt, dass die Entscheidung, die Baulast für den „Verbindungsweg“ den Gemeinden aufzuerlegen und keine Kreisstraße zu schaffen, bewusst so getroffen wurde. Zuvor heißt es jedoch:
Durch den autobahnähnlichen Ausbau wird im Zuge der B 50neu ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet. Dies begründet sich einerseits aus der Trassierung mit sehr guten Sichtverhältnissen und andererseits aus der Betriebsform mit freien Überholmöglichkeiten des Schwerverkehrs und der Anbaufreiheit.
Das gilt natürlich nur für „schnelle“ Fahrzeuge. Genau dieser Hochsicherheits-Ausbauzustand würde – siehe den Beitrag zum OVG-Verfahren – langsamere Verkehrsteilnehmer betreffend zu einer „besonderen örtlichen Gefahrenlage“ im Sinne des § 45 (9) S. 3 StVO umgedeutet. Natürlich liegt dies auch daran, dass der LBM ganz unumwunden zugibt, dass hier auch überhaupt kein Tempolimit gelten soll:
Die Geschwindigkeit wird gem. RAA für die vorliegende EKL 2 nicht begrenzt. Lediglich im Abschnitt nach der AS Hochscheid wird aufgrund der erforderlichen Trassierung und der sich daraus ergebenden Sichtweitenbegrenzung eine Festsetzung auf 120 km/h erforderlich.
Rechtsstaatlich doch auch ganz interessant, dass hier die Straßenbaubehörde die straßenverkehrsrechtlichen Beurteilungen und Anordnungen der zuständigen Kreisverwaltung vorwegnimmt, oder? Aber das macht er ja bereits mit der Festlegung, dass dies hier eine werden soll. Kommen wir nun zur Nicht-Kreisstraße:
Für die Maßnahme wurde auf der Grundlage der Vorentwurfsunterlagen mit Stand vom 25.08.2016 ein Verkehrssicherheitsaudit durchgeführt. Der Entwurf sah zu diesem Zeitpunkt noch den Rückbau der Hunsrückhöhenstraße zu einer klassifizierten Kreisstraße vor, was zwischenzeitlich geändert und in den vorliegenden Unterlagen als Verbindungsweg ausgeführt ist. Die im Auditbericht gegebenen Hinweise wurden soweit erforderlich in die vorliegende Planung aufgenommen.
Warum man von einer Ausweisung des Verbindungsweges als Kreisstraße abgesehen hat, ist im Hinblick auf die Regelungen des LStrG für mich nicht nachvollziehbar. Hier wird die bei vielen „überzeugten“ Autofahrern verbreitete Auffassung vertreten, dass Radfahrer gefälligst die Klappe halten sollen, weil das öffentliche Straßennetz ja sowieso nur für den Kfz-Verkehr geschaffen worden sei (und Radfahrer ja eh „keine Steuern zahlen“). Nach welcher Logik muss also zwischen Hochscheid, Horbruch und Oberkleinich eine Kreisstraße vorhanden sein (die auch die „Langsamverkehre“ benutzen dürfen) – aber zwischen Hochscheid und Hinzerath im Südwesten bzw. Hirschfeld (Bahnhof) im Nordosten nicht? Warum soll dort zukünftig eine „Gemeindestraße“ ausreichend sein? § 3 Nr. 3 a) LStrG:
Gemeindestraßen sind Straßen, die überwiegend dem örtlichen Verkehr dienen.
„Örtlicher Verkehr“ findet meines Erachtens schon definitionsgemäß in Orten – und gerade nicht Überland statt; da passen die Nummern 1 und 2 dieser Vorschrift doch schon erheblich besser.
Ich hatte es zwar vor einiger Zeit in den Beiträgen zur Lücke bei Albersweiler sowie neulich jener bei Fehrbach genauer ausgeführt: Der LBM deutet das LStrG (insb. die §§ 2 und 3) ja offenkundig so, dass eine vorhandene Bundesstraße immer auch dem klassifizierten Straßennetz zuzurechnen ist. Das gilt aber meiner Ansicht nach nur, wenn der Gemeingebrauch (§ 34 LStrG, § 7 FStrG) jener Bundesstraße auch alle Verkehrsarten mit einschließt. Andernfalls hat hier ggf. sogar das Land eine entsprechende Alternative in Form einer Landesstraße zur Verfügung zu stellen. Es kann nicht sein, dass bei der Klassifizierung des Straßennetzes nach Verkehrsteilnehmern 1. und 2. Klasse unterschieden wird! Wonach für Radfahrer und Langsamverkehre stets auch minderwertige Wege und Straßen ausreichend seien.
Straßennetzgestaltung
Abschnitt 4.2 behandelt die bisherige / zukünftige Straßennetzgestaltung:
Mit Verkehrsfreigabe der B 50neu wird (in Abhängigkeit der Anschluss- und Folgeabschnitte) die bestehende Hunsrückhöhenstraße, im vorliegenden Abschnitt als B 50/B 327 zum Verbindungsweg abgestuft. Baulastträger für die B 50neu wird die Bundesrepublik Deutschland, Bundesstraßenverwaltung. Der Verbindungsweg wird in die Baulast der jeweiligen Gemeinde übertragen.
Er dient künftig der Verbindung zwischen Hinzerath und Hochscheid sowie zwischen Hochscheid und Bhf. Hirschfeld für den langsam fahrenden und den landwirtschaftlichen Verkehr. Mittelfristig wird die B 50neu zur Kraftfahrstraße eingestuft.
Auszug aus Abschnitt 4.5.3:
Östlich der Neubautrasse wird die bestehende Hunsrückhöhenstraße künftig als zweistreifiger Verbindungsweg dem langsam fahrenden und landwirtschaftlichen Verkehr sowie der Erschließung des Wald- und Feldwegenetzes zur Verfügung stehen.
Das Wort „Radverkehr“ taucht nur in der Beschreibung zu Änderungen an der K 126 auf, die im Zuge des Baus einer kreuzungsfreien Anschlussstelle (siehe auch Lageplan Blatt 3, pdf / 1,43 MB) bei Hochscheid teilweise verlegt wird:
Separate Radverkehrsanlagen sind nicht vorgesehen.
Immerhin. Es ist ja stets zu befürchten, dass der LBM derartige Gelegenheiten nutzt und einfach mal irgendwelche abstrusen Stummelchen in die Landschaft baut, weil davor und dahinter in 20 Jahren vielleicht noch ein paar Radwege hinzukommen könnten.
Regelungsverzeichnis
Im weiter oben bereits erwähnten und verlinkten Regelungsverzeichnis sind die neuen „Verbindungswege“ sowie deren Anschlüsse unter den laufenden Nummern 3 und 4 sowie 9 bis 12 aufgeführt. Exemplarisch ein Auszug aus der Nr. 3 zum Verb.-Weg auf Bau-km 2+490 – 1+950:
Mit der Verkehrsfreigabe wird die B50neu die Verbindungsfunktion der bisherigen Straße übernehmen. Die verlassene B50/B327 wird bedarfsgerecht zu einem Verbindungsweg zurück gebaut.
Der Rückbau erfolgt gemäß RLW2016 für einen zweistreifigen Verbindungsweg mit einer belassenen Fahrbahnbreite von 4,75m. Inklusive der Bankettbreiten von beidseitig >0,75m beträgt die Kronenbreite 6,25m.
Der vorhandene Asphaltoberbau der bisherigen Bundesstraße bleibt erhalten. Im Neubauabschnitt zur Anpassung an die neuen Gegebenheiten erfolgt der Ausbau gemäß RStO nach der Belastungsklasse Bk1,0.
Unterhaltungspflicht: Gemeinde Kleinich
Der Rückbau erfolgt hier auf Basis des § 7 FStrG. Wonach der Baulastträger der B 50 verpflichtet ist, Ersatzwege oder -straßen zu errichten (oder entsprechend zurückzubauen). Was die Unterhaltung betrifft, sieht jedoch auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages (WD 5 – 3000 – 048/17, pdf, 84 KB) unter Verweis auf die juristische Kommentierung eine Kostentragungspflicht im Sinne des § 5 FStrG:
Da unselbstständige Radwege zum Straßenkörper einer Bundesfernstraße bzw. einer Bundesstraße gehören, trifft den Bund die Straßenbaulast im Sinne einer Kostentragungspflicht nach § 5 FStrG grundsätzlich auch im Hinblick auf den Bau und die Unterhaltung von Radwegen an Bundesstraßen.
Hier geht es zwar um „unselbständige Radwege“ – wenn der Radverkehr jedoch über „Verbindungswege“ geführt wird, gelten meines Erachtens die gleichen Prinzipien. Dafür hatte das BMVI ja irgendwann auch die „Grundsätze 2008“ erlassen.
Grundsätze 2008?
Da der LBM sich offenbar bewusst weigert, hier eine parallel zur neuen B 50 verlaufende Kreisstraße einzurichten (weil er dann Winterdienste leisten müsste), kann man ja auch die Frage stellen, warum die „Grundsätze 2008“ für Radwege an Bundesstraßen in diesem Planfeststellungsbeschluss ebenfalls keinerlei Rolle spielen? Das BMVI hatte in seiner Antwort auf Frage 10 im Rahmen einer kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag darauf verwiesen, dass eine sichere Führung des Radverkehrs „unabhängig von der Eigentumslage“ sei. Dass dem in der Praxis oftmals nicht so ist, zeigt nicht nur die B 10, sondern auch der schlechte Zustand des Weges, auf den der Landwirt vom OVG verwiesen wurde. Auch aus diesem Grund müssten meiner Ansicht nach im Bundesfernstraßengesetz auch eindeutige Regelungen getroffen werden, dass der Bund auch die Baulast für die Ersatzwege tragen muss! Die Baulast (also das Eigentum) darf nur dann abgetreten werden, wenn die Unterhaltspflichten (per Vertrag) weiterhin beim Bund liegen.
Hier wären dann gemäß § 11 (2) LStrG grundsätzlich – wie bei Fehrbach – also die drei kleinen Hunsrück-Gemeinden Hochscheid, Kleinich und Hirschfeld dafür zuständig, die nicht klassifizierten, in der Summe rund 5 km langen „Verbindungswege“ im Winter zu räumen und zu streuen. Also müsste sich jede der drei kleinen Gemeinden ein eigenes Räumfahrzeug zulegen – oder irgendwen damit beauftragen. Was ihnen vermutlich aufgrund leerer Kassen selbst „nach besten Kräften“ nicht gelingen wird. Jener Abschnitt der nicht ohne Grund so benannten Hunsrückhöhenstraße liegt übrigens auf Höhen zwischen 495 und 578 m ü. NHN, das heißt, dass es dort im Winter auf jeden Fall öfters mal weiß und glatt werden wird, als in den auf etwa 160 bis 300 m ü. NHN gelegenen Tälern entlang der B 10.
So läuft das halt auch in den Zeiten neoliberaler Subsidiarität: Die Lasten werden auf die Kleinsten abgeschoben. Bleibt zu hoffen, dass die betroffenen Gemeinden auch Einwendungen dagegen erhoben haben, die Baulast für diese „Verbindungswege“ aufgenötigt zu bekommen.
Schade, dass ich jenes Planfeststellungsverfahren erst relativ spät entdeckt hatte. Einwendungen waren gemäß Bekanntmachungstext (pdf, 108 KB) noch bis zum 22. November 2019 möglich. Meiner Ansicht nach gehört diese Frist auch auf 3 Monate verlängert.
So sieht die „Verkehrswende“ auf dem Land aus. Dazu passt auch der weitere Verfall und die Nicht-Reaktivierung der der B 50 folgenden Hunsrückquerbahn. 🙄
Abschließend noch die OSM-Lizenzbedingungen zum obigen Beitragsbild.