Anliegerstraßen und das Straßenrecht

Im vergangenen Juni hatte ich mich darüber empört, dass die zahlreichen Pirmasenser Anliegerstraßen weiterhin mit Verbot für Fahrzeuge aller Art beschildert sind; selbst auf den Abschnitten der HBR-Routen. Auch im Bereich der im Februar nur halbherzig freigegebenen Brücke über die B 10 am Wasserturm auf der Husterhöhe ist das „Transit“-Radfahren weiterhin verboten. Nun hatte mich interessiert, ob es für derart umfangreiche Verkehrsverbote in dem Gemeingebrauch dienen sollenden Gemeindestraßen überhaupt eine straßenrechtliche Grundlage gibt? Wie zu erwarten war: Nein, gibt es nicht. Das Beitragsbild zeigt die Beschilderung der „Alten Landstraße“ während der Vollsperrung der L 486 im Herbst.

Das rheinland-pfälzische Landes-Straßengesetz ist – was das Thema Widmung und (Teil-)Einziehung betrifft – etwas knapper gehalten als die entsprechenden Gesetze anderer Bundesländer. Im Teil II zu „Gemeingebrauch und Sondernutzung“ heißt es in § 34 (1) LStrG:

Der Gebrauch der Straße ist jedermann im Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften gestattet (Gemeingebrauch). Auf die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs besteht kein Rechtsanspruch.

Hier wird nach meiner Lesart klargestellt, dass die Verkehrsvorschriften ein Teil des Gemeingebrauchs sind; jene regeln, wie jedermann oder die von der straßenrechtlichen Widmung bestimmten Benutzerkreise diese öffentliche Straße auf welche Art und Weise zu benutzen haben. Absatz 3 grenzt negativ ab, was kein Gemeingebrauch ist:

Gemeingebrauch liegt nicht vor, wenn der Gemeingebrauch anderer ausgeschlossen oder mehr als unvermeidbar beschränkt oder die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt wird.

Ebenfalls wichtig ist der § 36 (1) LStrG:

Der Träger der Straßenbaulast verfügt im Benehmen mit der Straßenbaubehörde die Widmung einer Straße für den öffentlichen Verkehr. (…) Bei der Widmung sind die Straßengruppe, zu der die Straße gehört, sowie Beschränkungen der Widmung auf bestimmte Benutzungsarten oder Benutzerkreise festzulegen.

Wenn nun – wie es in recht vielen Pirmasenser Straßen der Fall ist – jene Straßen mittels dauerhaft angeordneter Verbot für Fahrzeuge aller Art + „Anlieger frei“ quasi nur als halb-öffentliche Grundstückszufahrten dienen, liegt weder Gemeingebrauch vor, noch wurde jener vorab mittels entsprechender Widmung (auf den Benutzerkreis „Anlieger“) beschränkt.

Albert-Siebel-Straße in Niedersimten

Dies hat mir das städtische Tiefbauamt auf Anfrage für die folgenden Straßen kürzlich auch bestätigt:

  • Am Wasserturm, Kantstraße, Strobelallee, Südliche Exerzierplatzstraße, Buchsweilerstraße (öffentl. Straße, vor 1963 hergestellt, d.h. noch kein Widmungsakt erforderlich gewesen)
  • Gefällerweg (im 1963;er-Bekanntmachungsverzeichnis als Straße nicht geführt – daher nur Wirtschaftsweg)
  • Albert-Einstein-Straße, Albert-Schweitzer-Straße, Terrassenweg, Wernher-von-Braun-Straße (große Privaterschließung 1976-1979, von Stadt PS danach übernommen)
  • Am Rauschenbrunnen (im 1963;er-Bekanntmachungsverzeichnis als Straße nicht geführt – daher nur Wirtschaftsweg)
  • Bittschachen, Alter Innweg (Wirtschaftsweg)
  • Auf dem Simter Berg (Teilstück Straße gem. Widmungsakt 1977, Rest Wirtschaftsweg)
  • Albert-Siebel-Straße (Herstellung 1960, d.h. noch kein Widmungsakt erforderlich gewesen)
  • Alte Landstraße (Teilstück Straße vor 1963 hergestellt, Rest Wirtschaftsweg)
Kantstraße
Beschilderung der Kantstraße (Teil der Route des „Pirminius-Radwegs“)

Das Jahr 1963, worauf das Tiefbauamt hier mehrfach verweist, ist aufgrund des § 64 LStrG von besonderer Bedeutung:

Alle Straßen, die nach bisherigem Recht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße haben, sind öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes. Dies wird für Straßen, die seit dem 31. März 1948 dem öffentlichen Verkehr dienen, vermutet. Soweit sie nicht durch die Landesverordnung über die Einstufung von Landes- und Kreisstraßen vom 6. Dezember 1963 (GVBl. S. 233, 1964 S. 96, BS 91-1-2) als Landes- oder Kreisstraßen eingestuft wurden, gelten sie, falls sie bisher von einer Gemeinde unterhalten worden sind, als Gemeindestraßen, im Übrigen als sonstige Straßen. (…)

Auch gesperrt: Am Aspentrog in Gersbach

Folglich gelten alle genannten Straßen als uneingeschränkt dem öffentlichen Verkehr gewidmete Gemeindestraßen. Folglich hätte nie ein dauerhafter straßenverkehrsrechtlicher Ausschluss nahezu sämtlicher Verkehrsarten stattfinden dürfen, indem der Benutzerkreis (per Verkehrszeichen) auf „Anlieger“ reduziert wird.

Hierzu eine kleine Übersichtskarte (OSM-Lizenzbedingungen) für den Südteil der Stadt. Auffällig ist der Teil nördlich und westlich der Landauer Straße – hier (insb. im Bereich der Strobelallee) wohnten einstmals die millionenschweren Pirmasenser Schuhfabrikanten. Zufall, dass gerade hier der Durchgangsverkehr verboten wurde?

Das Tiefbauamt ist allerdings der Ansicht, dass die straßenverkehrsrechtliche Beschilderung ausreiche, um den Gemeingebrauch einzuschränken:

Davon streng zu unterscheiden ist das „Wie“, d.h. wie oder von wem kann die Straße genutzt werden – dies obliegt der Straßenverkehrsbehörde und erfolgt regelmäßig durch eine Beschilderung. (…) Bezüglich der Beschränkungen („Wie“ oder „Wer“) auf den einzelnen Straßen und Wegen dienen die angebrachten Beschilderungen bzw. im Einzelfall eine konkrete Nachfrage bei der Straßenverkehrsbehörde (beim Ordnungsamt).

Das ist aber meiner Ansicht nach gerade nicht die Aufgabe der Straßenverkehrsbehörde. Jene darf bspw. aus Verkehrssicherheitsgründen durchaus auch bestimmte Verkehrsarten von der Nutzung einer öffentlichen Straße ausschließen. Dies muss jedoch vorab auch straßenrechtlich durch eine entsprechende Umwidmung / Teileinziehung verfügt werden. Siehe hierzu auch die Verwaltungsvorschrift zu § 45 StVO, Rn. 45a oder meinen Beitrag zum Ausschluss des Radverkehrs von der Benutzung der B 10 trotz fehlender Teileinziehung.

Die genannten „Wirtschaftswege“ wären gemäß Umkehrschluss aus § 1 (5) LStrG ebenfalls noch als öffentliche Straßen zu widmen, denn sie dienen ausdrücklich nicht ausschließlich nur land- oder forstwirtschaftlichen Verkehren.

Treffen mit der Stadtspitze

Auch dieses Thema wird am 23. Januar auf meiner Tagesordnung stehen, wenn ich mich auf Einladung von Bürgermeister Maas im Vorfeld des 4. Runden Tischs zum Verkehrsentwicklungsplan rund eine Stunde lang mit ihm und diversen Vertretern aus der Verwaltung (Tiefbauamt, Stadtplanung, Straßenverkehrsamt, Wirtschafts- und Servicebetrieb) über das Thema Radverkehr in Pirmasens unterhalten werde.

Vorausgesetzt es regnet nicht wieder – wie leider im vergangenen Mai – sprichwörtlich Hunde und Katzen. Falls doch, nehm ich mir halt ein Handtuch mit, damit der Stuhl nicht zu nass wird… 😉


Folgebeitrag

Anliegerstraßen-Freigaben in Pirmasens

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