Die Bündnisgrünen und der § 45 (9) StVO

Ein Mitstreiter hat mich heute dankenswerterweise an den Antrag 19/8980 der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 3. April 2019 erinnert, über den ich vor längerer Zeit mal etwas gelesen hatte. Jener Antrag trägt den Titel „Das Straßenverkehrsrecht reformieren – Straßenverkehrsordnung fahrrad- und fußverkehrsfreundlich anpassen“ und war heute Thema im Bundestag. In diesem „fahrradfreundlichen“ Antrag versteckte sich im Endeffekt die Wiedereinführung der allgemeinen Radwegbenutzungspflicht, die im Jahre 1997 abgeschafft wurde. Hierzu sollte der § 45 (9) S. 3 StVO, der leider schon bei der letzten Novelle förmlich kastriert wurde, so umformuliert werden, dass er insbesondere für Einwendungen oder Klagen gegen die Anordnung von Radwegbenutzungspflichten quasi völlig nutzlos geworden wäre.

Die Internetseite des Bundestages fasst die Ergebnisse der Sitzung vom 17. Januar 2020 zusammen, in der der Antrag der Grünen abgelehnt wurde. Im DIP des deutschen Bundestages sind auch die einzelnen Vorgänge aufgeführt.

Zu Nummer 15 der Forderungsliste heißt es unter dem Titel „Entscheidungsfreiheit für Städte und Kommunen erhöhen“:

§ 45 StVO zum Zweck der Erhöhung der Entscheidungsfreiheit für Kommunen hin zu einer sichereren, umwelt- und klima- und gesundheitsfreundlichen Verkehrsführung anzupassen und dabei insbesondere (…)

c) in Absatz 9 Satz 3 die Wörter „nur“ und „erheblich“ zu streichen;

Aus der Begründung:

Die derzeit geltenden Regelungen der StVO, insbesondere des § 45 „Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen“,
schränken Kommunen immer wieder stark in ihrer Gestaltungsfreiheit ein. Hohe Hürden oder Verbote,
bestimmte Verkehrszeichen anzuordnen – und damit bestimmte Regeln in bestimmten Straßen oder Quartieren
umzusetzen –, erschweren häufig die Umsetzung besonders moderner Verkehrs- und Mobilitätskonzepte. Hinzu
kommen Entscheidungen geltender Rechtsprechung. (…)

Dieser Satz schränkt jede einzelne Kommune ein, die verkehrliche Situation vor Ort selbst so zu gestalten, wie sie es für richtig und angemessen hält. Er bremst insbesondere Kommunen, die die Verkehrswende umsetzen möchten, aus. Besonders Aspekte des Lärmschutzes, des Umwelt- und Klimaschutzes werden dabei vollkommen vernachlässigt, aber auch Gesundheitsaspekte und Fragen der Lebensqualität. Sogar Verkehrseinschränkungen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit sind nur bei erheblichem Risiko zulässig. Um dies zu ändern, werden die Wörter „nur“ und „erheblich“ aus dem Satz gestrichen.

So sähe diese Vorschrift dann aus:

Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Dies wäre DER Freibrief für alle Straßenverkehrsbehörden geworden, an jeder, noch so absurden und gefährlichen Radwegbenutzungspflicht festzuhalten, denn bereits die Bedeutung des Wortes „erheblich“ wird schon seit Jahren von Behörden und Gerichten auf eine meiner Ansicht nach äußerst willkürliche Art und Weise ge- und überdehnt. Die Streichung des Wortes „nur“ hätte generell jede Anordnung einer Verkehrsbeschränkung (also auch Fahrbahnverbote mittels blauer Schilder) im Endeffekt ins Belieben der Straßenverkehrsbehörde gestellt.

Überhaupt geht der Antrag, insbesondere unter Bezug auf die „Entscheidungsfreiheit“ der Kommunen, völlig an der Realität vorbei, denn jene sind oftmals gar nicht selber für Verkehrsregelungen zuständig. Auch deshalb, weil die örtliche Zuständigkeit von Straßenverkehrsbehörden in den Ländern geregelt ist – und dies auch sehr unterschiedlich. In Rheinland-Pfalz entscheiden zum Beispiel zentrale Verbandsgemeindeverwaltungen (quasi eine „kleinere“ Kreisverwaltung) auch über die innerörtlichen Radwegbenutzungspflichten in einer Vielzahl von Gemeinden – die hier im Grunde auch überhaupt keine wirklichen Mitspracherechte haben. Wenn ich mir ansehe, was zum Beispiel die Verwaltung der verbandsfreien Stadt Bad Dürkheim über die Jahre so alles getrieben hat, würde mir Angst und Bange werden, wenn derartige Behörden in Zukunft im Rahmen einer völligen Narrenfreiheit einfach nur noch behaupten müssten, dass das Fahren im Mischverkehr generell „gefährlicher“ sei.

Die Kastration des § 45 (9) S. 3 StVO um die Wegelchen außerorts und überflüssige Radfahrstreifen ist schon schlimm genug.

Die Linke: Pro Separation?

Nebenbei: Andreas Wagner, Abgeordneter der Linken, für den ich im letzten Sommer als „Ghostwriter“ die Kleine Anfrage zum Thema Radwege an Bundesstraßen verfasst hatte, wird auf der Internetseite des Bundestages in einer mir leider überhaupt nicht schmeckenden Art und Weise zitiert:

Wenn möglich, müssten geschützte Radwege geschaffen und Auto- und Radverkehr voneinander getrennt werden, forderte er.

Schade, dass offenbar auch die Linke dem Separationswahn verfallen ist. Das erklärt auch, dass ich auf weitere e-mails keine Antworten mehr erhielt. 🙁


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Quasi-Abschaffung des § 45 (9) StVO?

6 Gedanken zu „Die Bündnisgrünen und der § 45 (9) StVO“

  1. Warum verstehen diese Psydo-Experten nicht, dass es bundeseinheitliches Straßenverkehrsrecht seit Jahrzehnten gibt? Leben diese ganzen Grünenpolitiker und ähnliche Bedrohungen der Verkehrssicherheit alle nur in einem Dorf, dass sie nie verlassen, sodass es egal ist ob in der Nachbarstadt die gleichen Regeln gelten? Mir wird immer Angst und Bange, was eine grüne Beteiligung an der Bundespolitik anbetrifft. Dann lieber eine CSU-Mehrheit, die sich einfach gar nicht um den Radverkehr kümmert.

    Wie soll das die „Verkehrswende“ voranbringen, wenn jede Straßenverkehrsbehörde machen darf, was sie will? Ich verstehe überhaupt nicht, wofür man diese „Experimentierei“ braucht, wenn es doch längst Grundlagen gibt, aber nicht die Schilder sondern der politische Wille fehlt?

  2. Es steht doch jeder Kommune frei, Radwege zu bauen. Meinetwegen sogar doppelstöckig, der § 45 (9) StVO schränkt sie dabei überhaupt nicht ein.

    Erst wenn ein Verbot der Nutzung der Fahrbahn durch Radfahrer ins Spiel gebracht wird, verhindert § 45 (9) dass Verkehrsplaner alles dem Primat des MIV unterordnen können.

    1. Es werden in D echt noch (straßenbegleitende) Radwege ohne Benutzungspflicht neugebaut…!? Es gibt ja dieses immer wieder mal auftauchende, von mir leider noch nicht verifizierte Gerücht, wonach es in einigen Bundesländern nur „Zuschüsse“ gibt (oder der Baulastträger der Straße die Kosten trägt), wenn die Dinger auch bebläut werden. Das gilt vor allem für die z. B. in Niedersachsen sehr beliebten, mit Z 240 beschilderten Dorfstraßen… Du hast ja bei so genannten „gemeinsamen Geh- und Radwegen“ als Behörde weiterhin das Problem, dass du die ohne Benutzungspflicht gar nicht beschildern kannst.

        1. Ich hab auch noch keine gesehen. Dabei hat die örtliche Kreisbehörde ja zwei Jahre gepennt, bis der LBM diese „Lösung“ vorgeschlagen hatte. Inzwischen sind die meisten Schilder weg, Piktogramme wurden trotzdem keine aufgemalt. Markierungen sind ja bekanntermaßen rechtlich auch nicht bindend. Ich bin schon gespannt auf das 1. Urteil zu einem Fußgänger-Radfahrer-Unfall auf einem so bepinselten Wegelchen.

  3. Die dienen ja nur der Klarstellung wie die Wiederholung von Verkehrszeichen auch ohne eigenen deklatorischen Charakter zu haben … aber paradoxerweise ist die Situation erst durch sie eindeutig. Das man beim Radverkehr häufig nicht bis zu Ende denkt im Bundesverkehrsministerium, ist ja nichts Neues.

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