Am heutigen 14. Februar stand im Rahmen der 985. Sitzung des Bundesrates unter dem Tagesordnungspunkt 50 die StVO-Novelle auf dem Programm. Immerhin drei der Änderungsanträge der Drucksache 591/1/19 (pdf, 484 KB) hatte ich hier im Blog thematisiert: die geplante Quasi-Abschaffung des § 45 (9) StVO, die nebeneinanderfahrenden Verkehrshindernisse und die Sache mit den Überholabständen. Da mir die sonstigen Anträge in der Summe einfach zu viele waren (und ich von dieser Novelle ja sowieso nicht so viel halte), hatte ich es mir erspart, jene im Rahmen eines weiteren Beitrags genauer vorzustellen. Ich habe es erleichtert zur Kenntnis genommen, dass der § 45 (9) StVO im Wesentlichen so bleibt, wie er ist, denn der Antrag Nr. 33 wurde abgelehnt. Auf der Internetseite des Bundesrates werden die Vorgänge (inkl. weiterer eingereichter Anträge der Länder) und die wesentlichen Ergebnisse der Abstimmung zusammengefasst.
Ebenfalls empfohlen sei das Video zur Abstimmung. Angenommen wurden hierbei die folgenden Änderungsempfehlungen:
4, 7, 9, 13, 17, 22, 23, 24, 25a, 26, 27, 35, 42, 44, 48, 49, 52, 54, 56, 65, 68, 69, 70, nicht erledigte Ziffern der Maßgaben-Empfehlungen, allgemeine Zustimmung, Antrag Bayern, alle übrigen Ziffern zur Entschließung.
Abgelehnt wurden die Anträge mit den Nummern:
1, 2, 3, Mehr-Länder-Antrag, 5, 6, 10, Antrag Hessen, 12, 14, 59, 15, 16, 32, 18, Antrag NRW, 20, 25b, 29, 30, 33, 34, 38, 47, 51, 53, 55, 58, 60, 61, 72, 73b, 73c.
Alle Angaben ohne Gewähr. 😉
Die Internetseite des Bundesrates zum Fortgang der Novelle:
Das Bundesverkehrsministerium hat bereits angekündigt, dass es die vom Bundesrat beschlossenen Änderungen schnellstmöglich umsetzen und den konsolidierten Text im Bundesgesetzblatt verkünden wird. Die Verordnung soll im Wesentlichen am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.
Dann sind wir mal gespannt. Die den Radverkehr betreffenden, angenommenen Änderungen im Einzelnen:
Nr. 4 zu § 9 (6)
Die Schrittgeschwindigkeitsregelung soll beim Abbiegen nicht generell gelten, da es auch innerorts Kreuzungen ohne Geh- oder Todesfallen-Radwege gibt, an denen ein Abbiegen mit Schrittgeschwindigkeit auch nur wenig Sinn ergibt. Ich persönlich würde ja viel lieber das diese Todesfälle oft erst auslösende Problem „Geradeausverkehr rechts von Rechtsabbiegern“ verbieten. ?
Nr. 7 zu § 12 (3) Nr. 1
Die Parkverbote in Kreuzungsbereichen werden nicht von einer Benutzungspflicht abhängig gemacht und sollen 8 m betragen.
Nr. 17 zu § 39 (1b) / § 45 (1i) S. 5 + 6
Das Auftragen von Sinnbildern in „Fahrradzonen“ soll entfallen. Es hätte mich auch nicht gestört, wenn jene „Fahrradzonen“ im Antrag 16 komplett abgelehnt worden wären – ich sehe in denen keinerlei Sinn. Mir wäre die Aufweichung von Fußgängerzonen viel lieber.
Nr. 35 zu § 45 (9) S. 4 Nr. 7 + 8
Die Anordnung von Fahrradzonen soll vom § 45 (9) S. 3 ausgenommen werden, da diese im Wesentlichen mit Tempo-30-Zonen vergleichbar sind.
Nr. 42 zu Anlage 2, lfd. Nr. 23
(Sonstiger) Verkehr, der an einer Kreuzung eine Fahrradstraße queren muss, soll diese Querung erlaubt werden.
Nr. 48 zu Anlage 3, lfd. Nr. 54.4
Klarstellung, dass das angeordnete Überholverbot für mehrspurige Fahrzeuge gleichzeitig für ein- und mehrspurige gilt. Schade übrigens, dass sich niemand an dem hässlichen und mit den gewohnten StVO-Sinnbildern brechenden Design des vorgesehenen Verkehrszeichens gestört hat. ?
Nr. 56 zu Anlage 3, lfd. Nr. 24.1 und 24.2
Die Verkehrszeichen für „Radschnellwege“ werden als Hinweiszeichen, anstatt Verkehrszeichen mit Regelungsgehalt in die StVO eingeführt. Ge- und Verbote könnten durch die vorhandenen Verkehrszeichen realisiert werden.
Update 22:48 Uhr
Inzwischen wurde auch die Beschlussdrucksache (pdf, 337 KB) ins Internetangebot des Bundesrates eingestellt. Darin tauchen auch einige Punkte auf, über die zumindest im weiter oben verlinkten Video nicht direkt abgestimmt wurde. Die Nummerierung der Änderungsvorschläge beginnt in diesem Dokument neu.
Nr. 3 zu § 12 (3)
Hier wird klargestellt, dass der Bundesrat das geplante Fahrbahn-Parkverbot für Räder auf Fahrbahnen nicht unterstützt.
Nr. 5 zu § 21 (3) S. 1 + 1a
Regelungen zur Mitnahme von Personen auf Fahrrädern. Dies solle nur erlaubt sein, wenn die Räder speziell dafür gebaut und eingerichtet sind. Hinzu kommen spezielle Regelungen für die Mitnahme von Kindern bis zum vollendeten 7. Lebensjahr.
Nr. 8 zu § 39 (7)
Bei der Beschreibung des Lastenrad-Piktogramms soll auch auf die Personenbeförderung hingewiesen werden.
Nr. 20 zu Anlage 2, lfd. Nr. 23 + 24.1
Die übliche Freigabe des Kfz-Verkehrs in Fahrradstraßen soll durch ein neues Zusatzzeichen zusätzlich erleichtert werden. Man möchte auch eine Grundlage dafür schaffen, auf einem Zusatzzeichen mehrere Verkehrsarten abzubilden. Problem dabei: Hier wird (mal wieder) nur an den Kfz-Verkehr gedacht. Reiter z. B. sind hier die Gelackmeierten, denn die brauchen ein eigenes Zusatzzeichen.
Nr. 28 zu Anlage 3, lfd. Nr. 68
Das Zeichen 295 (durchgezogene Linie) soll u. a. auch als „Begrenzungslinie“ für Sonderwege fungieren, vor allem, um außerorts deren Verlauf zu verdeutlichen. Es ist denen aber nicht aufgefallen, dass viele (an Sonderwegen außerorts) vorhandene Fahrbahnbegrenzungslinien (zum Beispiel) genau genommen die Benutzung eines Sonderwegs verbieten. Das wird nämlich auch nach der Änderung von Nr. 3 Buchst. c weiterhin so sein, denn der gilt weiter nur für „nicht erreichbare Grundstücke“. Konsequenz wäre auch, dass man auf einem so schon engen Wegelchen wegen aufgetragener Sonderweg-Begrenzungslinien beim Überholen oder Gegenverkehr nicht mehr auch nur mit dem Lenker über den (oft begrünten) Rand hinausragen, geschweige denn fahren dürfte. Im Endeffekt werden hier meiner Ansicht nach beim Auftragen solcher Linien aber auch die ominösen, seitlichen, orwell’schen Sicherheitsräume aus der VwV gekillt. ?
Nr. 32 zu Anlage 3, lfd. Nr. 22
Das Halteverbot auf Schutzstreifen soll nicht für Fahrräder (und Elektrokleinstfahrzeuge) gelten. Aufgrund der bisherigen, sich nur an Kraftfahrzeuge richtenden Formulierung hätten zukünftig jedoch Anhänger oder Gespannfuhrwerke dort geparkt werden dürfen.
Update 17. Februar zur BKatV
Nachgetragen seien hiermit auch noch die in der Beschlussdrucksache angedachten Änderungen der Anlage zur BKatV.
Nr. 33 zur Anlage, lfd. Nr. 2 – 2.3
Das Gehweg- und Geisterradeln soll nach dem Willen des Bundesrates deutlich kostspieliger werden. Die Regelsätze der o. g. laufenden Nummern sollen von 10 auf 55, von 15 auf 70, von 20 auf 80 und von 25 auf 100 Euro angehoben werden.
Nr. 34 zur Anlage, lfd. Nr. 39, 39.1, 41, 64, 64.1
Missachtung des Vorrangs beim Abbiegen soll 40 statt 20 Euro kosten. Mit Gefährdung eines Fußgängers oder Radfahrers 140 Euro + 1 Monat Fahrverbot (statt 70 Euro).
Die Bußgelder für Gefährdungen beim Ein- oder Aussteigen (Dooring) sollen künftig verdoppelt werden und mit 40 bzw. 50 Euro (bei Sachbeschädigung) zu Buche schlagen. Mich hatte bei meinem Unfall 2017 gewundert, dass das überhaupt so günstig ist.
Nr. 35 zur Anlage, lfd. Nr. 51
Unzulässiges Halten soll mindestens 20 statt 10 Euro kosten, mit Behinderung 35 statt 15 Euro. Kurvenparken soll je nach Schwere zwischen 35 und 55 Euro kosten (statt 15 bis 35 Euro). Verstöße gegen Halteverbote gem. § 12 (2) StVO sollen zwischen 25 und 50 Euro kosten (bisher 15 bis 35 Euro).
Nr. 38 zur Anlage, lfd. Nr. 58
Das Parken in zweiter Reihe soll mit 55 (statt 20) Euro deutlich teurer werden, mit Behinderung 80 (statt 35) Euro. Gefährdung (90 Euro) und Sachbeschädigung (110 Euro) kämen neu hinzu. Länger als 15 Minuten kostet 85 statt 30 Euro, mit Behinderung 90 statt 35 Euro.
Nr. 41 zur Anlage, lfd. Nr. 141.1 ff.
Verstöße gegen Verkehrsverbote sollen auch teurer werden. Bei Kraftfahrzeugen je nach Gewicht 100 statt 75 Euro bzw. 55 statt 25 Euro oder 50 statt 20 Euro. Aber auch für Radfahrer soll z. B. auch das Befahren von HBR-Wegen ? künftig 25 statt 15 Euro kosten. Im Grunde wäre die Verhältnismäßigkeit auch gewahrt geblieben, wenn man es bei den 15 Euro belassen hätte. Warum es in dieser Angelegenheit nur für Radfahrer die detaillierteren Tatbestände gibt, ist für mich auch nicht so wirklich nachvollziehbar. Mit Behinderung kostet es dann 30 statt 20 Euro, mit Gefährdung 35 statt 25 Euro und mit Sachbeschädigung 40 statt 30 Euro.
Sonstiges
In der Anlage zur BKatV ergaben sich auch noch ein paar Änderungen, die ich allerdings wohl erst mühsam entziffern muss. Im Detail ist mir auch nicht bekannt, wie mit den nicht zur Abstimmung gebrachten Änderungsempfehlungen verfahren wird oder ob jene zusammenfassend angenommen oder abgelehnt wurden. Die Nr. 8 mit dem Fahrbahn-Abstellverbot wurde beispielsweise nicht zur Abstimmung aufgerufen; laut der Zusammenfassung auf der Bundesrats-Internetseite heißt es aber, dass der Bundesrat mit dem generellen Verbot, Fahrräder am Straßenrand zu parken, „nicht einverstanden“ sei. Siehe die Updates im obigen Abschnitt. Über die restlichen Vorschläge wurde „im Paket“ abgestimmt („alle übrigen Ziffern zur Entschließung“).
Ganz witzig fand ich übrigens, dass die vielleicht sogar meinen Blog lesen… ? 😉 Denn im Beitrag zu den Überholabständen hatte ich am 6. Februar darauf hingewiesen, dass das „in der Regel“ aufgrund des Wortlauts der Änderungsempfehlung nur außerorts gelten würde. In einem „Nachschuss“ zu Drucksache 591/1/19 vom 10. Februar (pdf, 74 KB) hatte man das dann doch noch schnell korrigiert. Angenommen wurde es ja aber letztlich doch nicht.
Fazit
Ich kann einmal mehr nur meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck bringen, dass auch mit dieser Novelle eine weitere Chance vertan wird, endlich (rechteckige) Verkehrszeichen vor allem für „Geh- und Radwege“ in der StVO zu verankern, die keine Benutzungspflicht bewirken. Das ist vor allem außerorts weiterhin ein gewaltiges Problem, weil es zum im Verkehrszeichenkatalog einfach keine praktikable und akzeptable Alternative jenseits von rechtlich fragwürdigen Malereien gibt. Und auch weiterhin nicht geben soll. Dafür stellt man halt weiterhin überall
auf – und wundert sich, dass auf solchen Wegen im Endeffekt keiner nur mit 7 km/h herumfährt. ?
Außerdem sehe ich die Gefahr, dass die festgeschriebenen Überholabstände sich mittel- und langfristig als Pyrrhussieg erweisen werden. Ich warte nämlich schon gespannt darauf, ab wann in den Erläuterungsberichten des LBM zu diversen Planfeststellungsverfahren und auch in diversen Anordnungen zu Gehwegbenutzungspflichten für Radfahrer die (im Einzelfall einfach nicht einhaltbaren) festgeschriebenen Überholabstände als Begründung dafür dienen werden, Radfahrer auf immer mehr Straßen von der Fahrbahn zu verbannen, weil ja sonst überhaupt kein Überholen mehr möglich sei und folglich „der Verkehr zusammenbräche“. 🙄 Ich jedenfalls werde auf mein „Recht“, überall unbedingt mit 1,5 oder 2 Meter überholt zu werden, immer wieder verzichten, indem ich die Leute vorbeiwinke. Denn andernfalls hat man als Radfahrer gem. § 5 (6) S. 2 StVO halt ständig anzuhalten und die Leute vorbeizulassen. Wobei diese Änderung in der Praxis sowieso keinen Autofahrer auch nur ansatzweise interessieren wird.
Danke für die Übersicht.
Noch nichtmal das BMVI (https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/beschluesse-bundesrat-14-02-2020.html) bekommt es hin, die Entscheidungen so zusammenzustellen, wie das hier der Fall ist. Vermutlich bundesweit einmalig. Chapeau! und Danke!