„Verkraftfahrstraßierung“…

Feierabendströme

…ist eine auf meinem Mist gewachsene Wortschöpfung, um die vor allem mittels Anlage dann auch meist per Zeichen 240 StVO benutzungspflichtiger Sonderwege stetig zunehmende Sperrung von Fahrbahnen im Zuge völlig durchschnittlicher Kreis-, Landes- und Bundesstraßen vor allem außerorts für Radfahrer zu beschreiben. Auf Zeichen 331-1 StVO dürfen Radfahrer bekanntermaßen aus Sicherheitsgründen nicht drauf. Man versucht aber eben zunehmend mit der gleichen Begründung, Radfahrer auch von Nicht-Kraftfahrstraßen zu verbannen!

Das Beitragsbild zeigt die Zeichen 331-1 StVO B 10 am Pirmasenser Wasserturm.

Ende 2016 wurde die StVO geändert. Bis dahin bot sich auch außerorts zumindest durch § 45 (9) StVO noch ein juristischer Ansatzpunkt, um auch gegen überflüssigerweise mit Zeichen 240 StVO beschilderte Sonderwege mittels Widerspruch oder Klage vorgehen zu können. Auch das wegweisende Urteil BVerwG 3 C 42.09 stellte klar, dass die Anordnung einer Benutzungspflicht und ein damit einhergehendes Verbot der Fahrbahnnutzung für Radfahrer die grundsätzliche Ausnahme darstellt. Der Leitsatz des Urteils lautete:

Eine Radwegebenutzungspflicht darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 2 der Straßenverkehrs-Ordnung – StVO).

Dieses Urteil wurde nun ebenfalls durch die Neufassung des § 45 (9) StVO kassiert, denn das Vorliegen einer besonderen Gefahrenlage ist gem. S 4 Nr. 3 nun außerhalb geschlossener Ortschaften nicht mehr notwendig, um den Radfahrer grundsätzlich auf einen Sonderweg zu zwingen und ihm somit die Fahrbahnnutzung zu verbieten. Als einzige halbwegs erfolgsversprechende Angriffspunkte verbleiben hier hauptsächlich nur noch bauliche Mängel wie bspw. unzureichende Wegbreiten, unstetige Führung oder durch den Radweg selbst geschaffene Gefahrenstellen (wie z. B. an Einmündungen).

So ist es derzeit also auch (wieder) möglich, an kaum bis gar nicht befahrenen Kreis- oder Landstraßen Radfahrer von der Fahrbahn zu verbannen. Wie bspw. auch an der relativ schwach befahrenen L 363 bei Steinalben oder auch weiter nördlich davon. Leider wurde so die gar über Jahrzehnte anhaltende Untätigkeit vieler Behörden, die teilweise uralten Schilder zu überprüfen, durch diese Änderung der StVO auch noch belohnt! Denn nun konnte man z. B. auch bei dieser Verkehrsschau an anderer Stelle darauf verweisen, dass eine besondere Gefahrenlage auf der Fahrbahn nun eben nicht mehr notwendig sei – und man außerorts den Radfahrer auf den (nicht ungefährlichen) Radweg zwingen kann, wenn man das will! 😡 Selbst dann, wenn der Radfahrer mal eben auf kürzester Strecke 5 kleine Zeichen 205 StVO vor die Nase gesetzt bekommt… 🙄

Viele Köche verderben den Brei

Betrachtet man die Entstehungsgeschichte dieser Änderung, stellt man fest, dass das Bundesverkehrsministerium in der dem Bundesrat vorgelegten Drucksache 332/16 selbst keine Herausnahme der Außerortstraßen aus dem Regelungsgehalt des § 45 (9) anstrebte.

Es waren letztlich die Empfehlungen der Bundesratsausschüsse in der Drucksache 332/1/16, die zur Änderung führten. Begründet wurde die Herausnahme der Außerort-Straßen im Beschluss vom 23.09.16 wie folgt:

Infolge der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeiten (hier sind Geschwindigkeiten bis zu 100 km/h üblich) besteht außerorts auch ohne Nachweis einer ungefähr 30-prozentigen höheren Gefahrenlage in der Regel per se die Notwendigkeit, infolge der hohen Differenzgeschwindigkeiten Radfahrer vom übrigen weitaus schnelleren Kfz-Verkehr auf der Fahrbahn zur Wahrung eines sicheren flüssigen Verkehrsablaufs zu trennen.

Man unterstellt hier pauschal, die seit Jahrzehnten geübte Praxis an gänzlich von Radwegen verschonten Außerortstraßen würde einen Nachweis einer Gefahrenlage an derartigen Straßen (die zufälligerweise über einen Radweg verfügen) erübrigen! Warum man dort 30 Prozent (von was…?) erwähnt, bleibt völlig schleierhaft. Ebenfalls, warum man diese angebliche „natürliche“ Gefahrenlage nicht anhand von Unfallzahlen nachweisen kann? Denn das sollte eigentlich bei einer Gegenüberstellung doch ohne weiteres möglich sein; vor allem, wenn man behauptet, dass (radwegfreie) Außerort-Straßen für Radfahrer generell besonders gefährlich seien. Es wird wohl eher daran liegen, dass es vor allem auch auf Straßen außerorts sehr selten vorkommt, dass ein Radfahrer mal eben vollständig „übersehen“ und über den Haufen gefahren wird. Und grade deshalb ein pauschales Verbot mindestens genauso unverhältnismäßig wäre wie die 1997 abgeschaffte allgemeine Radwegebenutzungspflicht!

Meine persönlichen Erfahrungen aus rund 20 Jahren auf den Bundes-, Land- und Kreisstraßen meiner Heimat widerlegen dieses Bild sowieso; das Befahren von Straßen ist im Ergebnis außerorts sogar sicherer als innerhalb geschlossener Ortschaften, in denen eine wesentlich höhere Konzentration von Konfliktpunkten, Verkehrsteilnehmern und Gefahrenstellen herrscht! Das wird unter anderem auch durch die Unfallstatistik des Polizeipräsidiums Westpfalz bestätigt, wonach z. B. im Jahre 2015 den 197 Verkehrsunfällen mit Radfahrerbeteiligung innerorts nur 43 außerorts gegenüberstanden!

Auch die höheren „Differenzgeschwindigkeiten“ sind im Grunde nur an den Haaren herbeigezogen. Denn sofern ein Autofahrer auf übersichtlicher, freier, gerader Strecke einen Radfahrer erkennt, kann und darf er (vor allem bei Gegenverkehr) eben auch keine 100, 70 oder ggf. auf nicht mal mehr 50 km/h fahren, sondern muss halt seine Geschwindigkeit anpassen. Das ist an radwegfreien Außerortstraßen die ganz normale Praxis – und funktioniert in der Summe auch tadellos! Aber es geht ja dann offenbar sowas von gar nicht, wenn ein Radfahrer einen (vorhandenen) Sonderweg mal nicht benutzen will. Dann werden eher die potenziellen Gefährder gar noch durch eine freie Bahn belohnt – und potenzielle Opfer durch Verbannung auf oft schmale, verschmutzte, gefährliche und (vor allem was Vorfahrtrechte betrifft) diskriminierende Radwege bestraft!

Es geht also im Kern wohl wirklich nur darum, den „flüssigen“ motorisierten Verkehrsablauf zu wahren, damit Autofahrer keine Rücksicht mehr auf langsamere Verkehrsteilnehmer nehmen müssen. Nebenbei wird so das Haftungsrisiko deutlich minimiert. Leider ist das eigentlich StVO- und sogar Grundgesetzwidrig!

Übrigens: besonders beschämend daran ist, dass der ADFC diese Regelung nicht ausdrücklich und scharf kritisiert – sondern gar noch regelrecht beklatscht hat!

Konsequenz?

Aber sind wir einfach mal konsequent und stricken diese Begründung weiter: Jene sagt eben aus, dass quasi grundsätzlich JEDE Straße außerorts für Radfahrer viel zu „gefährlich“ ist. Nun ist es aber so, dass es an den meisten Straßen schlicht überhaupt keine Sonderwege für Radfahrer gibt; zumindest ist das hier in der Südwestpfalz so. In meinem Heimatkreis (einschl. der kreisfreien Städte Pirmasens und Zweibrücken) beträgt der bebläute Anteil nur etwa 6 %!

Es ist eh erstaunlich, welche schlagartige Wandlung in Sachen Gefahrenlage ein Straßenabschnitt regelm. vollzieht, wenn an diesem ein kombinierter Geh- und Radweg gebaut wurde. Vorher gab es über viele Jahre keinen Bedarf, also auch keine Gefahrenlage. Der Entschluss, einen solchen Sonderweg anzulegen, basiert grade in den allermeisten Fällen nicht auf der Beobachtung von Unfallhäufungen mit Radfahrerbeteiligung. Sondern fast ausschließlich auf dem Wunsch, den „störenden“ Radfahrer dort von der Fahrbahn zu kriegen; belegt wird dies bspw. auch den Fall der völlig absurden Sperrung der B 270 nördlich von Kaiserslautern. Wurde der Sonderweg dann gebaut, wird die zuvor jahrelang nachweislich ungefährliche Fahrbahn nun schlagartig derart gefährlich, dass der Radfahrer nun unbedingt von dieser ferngehalten werden muss! 😡 Wobei da zumindest indirekt was dran ist: denn nun werden die das Privileg einer exklusiven Fahrbahn genießenden Autofahrer ja regelrecht dazu legitimiert, einen doch die Fahrbahn benutzenden Radfahrer selber zu disziplinieren…! 😕

Also: rein theoretisch angenommen, Radfahren auf durchschnittlichen Kreis-, Landes- und Bundesstraßen ist wirklich über alle Maßen „gefährlich“: Warum tun dann alle Baulastträger nichts gegen diese „Gefahr“ – und legen eben nicht konsequent an JEDER Außerortstraße Radwege an…? Ja, eigentlich müsste man sogar fragen, warum man das Radfahren außerorts nicht gleich komplett verbietet…? Es ist doch so dermaßen gefährlich, dass ein bevormundendes Verbot zum Schutze der uneinsichtigen Radfahrer offenkundig unbedingt notwendig ist! 🙄

Haftung wegen Unterlassen…?

Nehmen wir also mal an, ein Radfahrer verunglückt schuldlos an einer solchen radwegfreien Landstraße – könnte und sollte der dann nicht konsequenterweise den Staat auch aufgrund dieser Begründung auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagen – weil es unterlassen wurde, einen „sicheren“ Radweg anzulegen…? Es ist ja nämlich generell so, dass die Anlage von Radverkehrsanlagen eher vollkommen willkürlich erfolgt!

Vielleicht könnte ja dieses potenzielle „Haftungsrisiko“ doch wieder zu etwas mehr Vernunft in Sachen Fahrbahnverbote durch Radverkehrsanlagen auch außerorts führen!? 👿 Denn ich nehme mal an, dass man es grade auch finanziell in Zukunft ebenfalls nicht schaffen (und auch nicht wirklich wollen) wird, jede Außerortstraße mit einem straßenbegleitenden Radweg zu versehen!


Siehe auch

KV Südwestpfalz: Tempo 100 ungefährlich

4 Gedanken zu „„Verkraftfahrstraßierung“…“

  1. Warum eigentlich fordern Diejenigen, die „sichere Radwege“ fordern, niemals auch „sichere Motorradwege“ ? Die Unfallstatistiken zeigen , das obwohl sie nur ca. ein Drittel der Fahrleistung von Radfahrern zurücklegen, es etwa 25% mehr tote Motorradfahrer wie Radfahrer gibt. Es also sehr viel notwendiger ist Motorradfahrer zu „schützen“.

    1. Hallo Markus,

      die „behindern“ halt nicht so sehr den „echten“ Verkehr wie wir. ;o) Und Nutzer von Kleinkrafträdern gibt es ja nur recht wenige; sonst würde man die wohl auch auf „Radwege“ zwingen (in den Niederlanden ist das glaube ich auch so). Zweiradfahrer kommen ja z. B. auch deshalb regelmäßig ums Leben, weil z. B. durchschnittliche Leitplanken nur für Kfz ausgelegt sind – und die Gestürzten dann nicht selten ungebremst gegen die Pfosten knallen.

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