Coronoia: Hinschmeißen

Am 13. Mai veröffentlichte Gunnar Kaiser ein Video, in welchem er uns an seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben lässt, die ihn dazu bewogen haben, seinen Lehrerberuf an den Nagel zu hängen und damit auch seine Beamtenlaufbahn zu beenden. Nun kann man einwenden, dass er aufgrund seiner Bekanntheit und seiner Tätigkeit als Youtuber, Autor und Philosoph auch noch andere wirtschaftliche Standbeine hat, die diesen Entschluss begünstigt haben. Trotzdem – ein derartiger Schritt nötigt mir ein Höchstmaß an Respekt ab. Nicht nur, weil ich selber auf eine Beamtenlaufbahn „verzichtete“, indem ich mich damals vor allem nicht den kranken Leistungsanforderungen, deren wesentlicher Hauptzweck die Selektion war, unterwarf.

Kaiser spricht darüber auch zu Beginn seines Videos:

Letztendlich haben wir auch alle ein gewisses Verhältnis zwischen Kraftaufwand und den Chancen, die wir sehen, irgendetwas zu verändern, das System zu verändern. Und wenn dieses Verhältnis ins Ungleichgewicht gekommen ist, dann droht es dahin zu kippen, dass man sich nur noch aufopfert. Dieses Aufopfern ist natürlich nicht gut, da muss man eine Art gesunden Egoismus haben, dass man auch sagt: Bis hierhin und nicht weiter! Hier ziehe ich meine rote Linie. Und hier ziehe ich jetzt auch Konsequenzen. Und es mag vielleicht nach einer Art egoistischem Selbstschutz aussehen, wenn man jetzt sagt: „Bis hierhin und nicht weiter.“ Aber letztendlich ist es auch wichtig, sich das einzugestehen, dass man eigene Grenzen hat, und dass man sich auch selbst begrenzen muss, um sich eben nicht auf Dauer kaputt zu machen und eben selber auch seine roten Linien zu behaupten.

Ja, die roten Linien. Jede auch nur erdenkliche rote Linie wurden von den Abermillionen panisch Verängstigten, aber vor allem Mitläufern in den letzten 15 Monaten regelrecht überrannt. Nichts war mehr heilig. Der Mensch ist jetzt nur noch ein gefährliches Objekt. Grund-, Menschen- und Kinderrechte gibt es nicht mehr – oder sie sind abhängig davon, ob man sich am größten Menschenversuch aller Zeiten beteiligt. Gerade an den Kindern wird ein unfassbares, unverzeihliches Verbrechen begangen; nicht nur von Eltern oder Lehrern.

Leider waren auch im (schweigenden) kritischen Teil zu viele Menschen zu lange bereit, sich an diesen Verbrechen passiv oder aktiv zu beteiligen. Es gab eben nicht die eine Grenze, die man nicht mehr bereit war, zu überschreiten. Es gab nicht den einen Punkt, zu sagen: „Leckt mich! Auch wenn es mich meinen Job kostet!“

Es ist vielleicht so etwas wie eine vernunftgeleitete Weltsicht, wenn man sagt: „Hier ist eine Grenze erreicht.“ Und die Konsequenzen, die ich ziehe, sind die, dass ich aus diesem System rausgehe.

Ich gehe auch deshalb extrem hart mit dem Großteil der Mitläufer ins Gericht, weil sie über keine roten Linien verfügen, sich immer opportunistisch den herrschenden Zuständen anpassen – und jene dadurch in der Masse erst bilden, ermöglichen. Und auch daher – lange vor „Corona“ – gegenüber mir in einer totalitären, neoliberalen „Wettbewerbsgesellschaft“ immer im Vorteil waren. Wo Leistung eben nicht wirklich zählt, sondern in erster Linie die Unterwerfung, die Eingliederung in Hierarchien. In meiner Familie versuchte man mir vergeblich beizubringen, dass ich die Schnauze halten solle, wenn ich sehe, dass anderen oder mir Unrecht angetan wird.

Wenn man sich einmal in das starre Konstrukt einer klassischen Lohnarbeit eingelassen hat – und nicht gerade die bundesweit gefragte Mega-Koryphäe auf seinem Gebiet ist, dann wird man dort nur noch schwer wieder rauskommen. Man deformiert, degeneriert – zu einem 9-to-5-Zombie, dessen Tagesablauf sich zwischen 20 und 67 quasi nur in Nuancen unterscheidet. Man macht viel zu viele faule Kompromisse.

Du kannst dieses kranke System auch von innen heraus auch nicht ändern; denn es ändert dich. Es passt dich an, zu einem verwertbaren, die Abläufe nicht störenden Rädchen im Getriebe. Solltest du doch stören, dann wirst du teils auch schon sehr früh aussortiert. Nur wenige – wie Gunnar Kaiser – schaffen es, sich innerhalb dieser Strukturen noch einen freien Geist und eigenen Willen zu bewahren.

Und das ist die Grundfrage: Wie bekommen wir das hin? Wie bekommen wir das mit den Gegebenheiten hin, die wir haben? Kann man im System überhaupt etwas verändern? Und ich denke: Nein! Das System verändert dich. Und deswegen mache ich da nicht mit. Deswegen gehe ich da raus. Und deswegen schmeiße ich hin!

Ich habe im Grunde schon vor mehr als 10 Jahren hingeschmissen. Ich hatte auch für mich den Entschluss gefasst, dass ich da nicht mehr mitmache. Aber da bin ich eine gewaltige Ausnahme. Denn nahezu alle machen sie mit; auch heute – bei der Etablierung einer faschistischen Apartheidsdiktatur. Um in der Fußgängerzone ein Käffchen zu trinken oder wieder in den Urlaub auf Malle zu fliegen, lassen sie sich derzeit massenhaft „testen“ oder „impfen„.

Weil es für diese Menschen eben keine roten Linien, keine Grenzen gibt – und nie welche gab. Sie sind Fähnchen im Wind; Wasser, das immer nur den Weg des geringsten Widerstandes geht. Man kann es sich ja auch so bequem schönreden, denn am Ende ist es ja doch immer nur ein Befehl, nur ein Job. Auf die Spitze getrieben hieß das dann früher auch einmal: „Wenn ich den Gashahn nicht aufdrehe, macht es halt ein anderer!“

Ein wenig Hoffnung habe ich doch noch; dass ich mich (wie Gunnar Kaiser) woanders, mit ein paar netten, ähnlich denkenden Menschen daran beteiligen kann, etwas Neues aufzubauen. Allein werde ich es auf jeden Fall nicht schaffen.


Siehe auch

Home Office #119 | NuoViso.

2 Gedanken zu „Coronoia: Hinschmeißen“

  1. Lieber Dennis,

    ja, auch ich bewundere Gunnar Kaiser. Zumindest das, was er tut und wie er es tut. Und das Video, das Du zitierst habe ich auch gesehen, und es ist mir nahe gegangen. Solche Entscheidungen habe ich auch getroffen, und deshalb bin ich jetzt da, wo ich bin, mit allem, was daraus folgt und noch folgen wird.

    Die Wettbewerbsgesellschaft, oder sollte ich sagen, das neoliberale Welt- und Menschenbild, haben sich heute bis in die letzten Winkel von unser aller Leben durchgesetzt. Der überwältigenden Mehrheit erscheint das als »normal« – kaum jemand käme auf die Idee, das zu hinterfragen. Da könnte man sich ja gleich selbst hinterfragen. Und gerade das geht heute gar nicht mehr.

    Denn alle, die mitmachen, haben einen hohen Preis bezahlt: Den Verrat an sich selbst und letztlich auch an den Menschen um sich her. In den seltenen stillen Augenblicken klopft diese Erkenntnis mitunter leise an. Deshalb: Niemals Stille, nicht wirklich. Man könnte auf unangenehme Gedanken kommen…

    Das ist ein unfassbar hoher Preis, für die Einzelnen wie für uns alle zusammen. Und nur ganz wenige können sich den Schritt vorstellen, etwas aufzugeben, für das du sprichwörtlich mit deinem Leben »bezahlt« hast. Also: weiter so.

    Im Grunde sind wir schon längst keine Menschen mehr, sondern »biologische Funktionseinheiten« in einer Art Mega-Maschine, die wir selbst geschaffen haben und um deren Wohlergehen und Wachstum sich alles dreht. Na ja, ein paar profitieren auf schier unvorstellbare Weise davon. Dass auch wir Massenmenschen dabei regelrecht vor Stolz platzen ist Teil des Spiels.

    Sich unter diesen Umständen noch eine gewisse innere Souveränität zu bewahren ist eine Herausforderung – jedoch eine völlig andere als die, in Dauerkonkurrenz zu sein und um jeden Preis »gut auszusehen«. Hut ab vor Allen, die das auch nur einigermaßen hinbekommen!

    Denn es ist »friss oder stirb«. Wer nicht mitmacht, gar dumme Fragen stellt, wird schnell weggebissen. Dabei kann sich sicher fühlen, wer »nichts dabei findet«, sich im allgemeinen Konsens aufgehoben fühlt. Schon Tucholsky sagte mal, nichts definiere einen Menschen mehr als das, bei dem er »nichts dabei findet«.

    Und ja: Es sind immer die Menschen um mich her, und meine Verbindung zu ihnen, die mir Heimat sind – oder eben nicht. Natürlich ist jede/r von uns letztlich auf sich allein gestellt. Und gleichzeitig bin ich als Mensch nichts und niemand ohne die Anderen. Hört sich nach einem Paradox an, doch näher komme ich mit Sprache nicht ran.

    1. kaum jemand käme auf die Idee, das zu hinterfragen. Da könnte man sich ja gleich selbst hinterfragen.

      So wichtig es auch ist und bei allem Verständnis dafür, sich selbst zu hinterfragen: genau das passiert dann ja auch. Man hinterfragt nicht das System, wenn man nicht hineinpaßt, sondern (nur und ausschließlich) sich selbst. Die Leute zweifeln nicht das System an, sondern sich selbst. Man versucht nicht, das System zu ändern, sondern sich selbst.

      Und daran krankt dann irgendwann die ganze Menschheit. Kein Wunder, daß jetzt nur eine Handvoll Leute das Narrativ hinterfragt, der Rest aber höchstens sich selbst kritisiert, wenn er mit den Maßnahmen nicht klarkommt:
      Das System als solches gilt als unangreifbar. Also pathologisiert man die, die darin leben (müssen).

Schreibe einen Kommentar